aufmerksam, glaubhaft

Vom Menschenrecht, sich zu waschen: Duschbus für Obdachlose

Wir haben in der Kirche vier Wochen lang jeden Sonntag das Thema „Geld“ miteinander behandelt:
Wie prägt uns unser Einkommen, die Werbung, der gesellschaftliche Umgang mit Konsum?
Inwiefern können wir als ChristInnen ein anderes Verhältnis zu unseren Finanzen entwickeln – uns weniger über Gehalt und Status definieren, bewusster konsumieren oder den Wert unseres Lebens davon unabhängig machen?
Heute sammeln wir für den „Duschbus“: Einen umgestalteten Linienbus, der von einem ehemaligen Obdachlosen und seinem Team neu genutzt wird. Wer sich nicht waschen kann, fühlt sich selbst langfristig äußerlich und innerlich dreckig und wird häufig respektlos behandelt. Im Duschbus erhalten Betroffene Handtücher, Zahnbürste und weitere Drogerieartikel, um in Ruhe und in Würde eins von drei vollständig eingerichteten mobilen Bädern benutzen zu können. Anschließend bekommen sie frische Kleidung, um nicht wieder zurück in die verschmutzten Klamotten steigen zu müssen.
Wer sich für das Thema interessiert: GoBanyo heißt die Organisation, die Wohl und Würde der obdachlosen Menschen auf dem Herzen hat.

Wer nicht weiß, wie viel sie oder er spenden soll: Einfach mal Gott fragen.
Wenn dir der Betrag, den du dann hörst, ganz schön hoch vorkommt und du eigentlich weniger spenden wolltest, weil du selbst nur bescheiden verdienst, vertrau darauf: Gott versorgt uns. Immer, und überall. Das habe ich oft erlebt und verlasse mich auch heute darauf.

aufmerksam, kreativ

Gartenprojekt mit Senioren: Bericht aus dem Bienenbeet

Seit Sonntag ackere ich mich durch diverse Beete der Senioren-Residenz, begleitet von wechselnden Damen und Herren.
Um trotz anhaltender coronabedingter Einschränkungen Gemeinschaft zu ermöglichen, gestalte ich den Garten mit einzelnen BewohnerInnen neu. Mein Ziel ist, dass die Anlage einen wesentlich höheren Anteil an ökologisch nützlichen Pflanzen hat, die sich auch für die SeniorInnen verwenden lassen. So säten wir nicht nur Wildblumen für Insekten, sondern legten eine Kräutergarten an und ließen essbare Blüten keimen. Beerensträucher sind ebenfalls bestellt und sollen nächste Woche ankommen, zusammen mit trockenheitsresistenten Stauden für den sonnigen Eingangsbereich.

Als ich im monatlichen „Hauskurier“ zum Mitmachen aufrief, waren die Rückmeldungen seeeehr verhalten. Im Gespräch konnte ich einige dazu verlocken, sich auf meine Liste setzen zu lassen, aber die Vorbehalte und Ängste überwogen deutlich. Nach zwei sonntäglichen Einzelbetreuungen an Terrassenkübeln trommelte ich für den Montag ein Grüppchen zusammen, die an unterschiedliche Beete verteilt wurden, um die Corona-Auflagen zu erfüllen. Mit dabei: „Mein Arm tut so weh“, „Ich kann heute gar nicht gut stehen, mein Bein schmerzt“, „Die Augen-OP schränkt mich ein und ich darf mich nicht bücken“ und als Teilnehmer Nummer vier „Ich kann nicht lange stehen, muss im Sitzen arbeiten“. Ich hörte mir artig die diversen Einschränkungen an und stellte die einzelnen Aufgaben in den verschiedenen Arealen vor. Anschließend schlug ich vor, wer wo arbeiten könnte, platzierte die Stauden, stellte allen einen Stuhl ans Beet, verteilte Schaufeln usw.

Alle warteten auf konkrete Anweisungen, während ich zwischen den einzelnen Parteien hin und her zischte. Der Herr, der nicht stehen konnte, grub bereits mit dem Spaten das gesamte Erdreich um. Die Dame, deren Arm schmerzte, packte kräftig am Blumenkübel mit an, und die Seniorin, die sich nicht bücken sollte, saß auf dem Stuhl und krebste zischen ihren Füßen im Boden herum. Obwohl alle eine ständige Betreuung erwarteten, was bei einer Leitung und vier Anwesenden für sie wie für mich viel Geduld erforderte, war die Stimmung sehr gut. Immer wieder kamen weitere SeniorInnen vorbei, hielten an, schnackten, trieben ihren Hund zwischen den Beinen aller hindurch oder setzten sich im Strandkorb dazu.
Absolut niemand erwähnte ein einziges Mal all die Gründe, warum sie zu schwach seien, um mitmachen zu können.
Alle wollten gerne weitermachen, als ich zum Aufräumen blies. Niemand fand, es sei an der Zeit, zurück ins Appartement zu gehen. Nur ich wollte gern nach Hause….
Die Dame mit dem schmerzenden Bein lief sogar in den zweiten Stock und zurück, nur um einen Handfeger zu holen, mit dem sie die Beeteinfassung aus Steinen abbürsten wollte.

Am Dienstag war sie gleich morgens wieder am Start, während ich im Hintergrund Löcher für höhere Stauden grub, holte sie mir die Pflanzen aus den Töpfen und fühlte sich allgemein nützlich.
Nachmittags schnappte ich mir eine weitere Dame, die anscheinend nicht ganz verstanden hatte, was genau die Aktivität sein sollte, und sich ständig wunderte: „Ich wusste ja nicht, dass ich alleine hier bin! Und was ich hier alles tun soll! Also darauf hatte ich mich nicht eingestellt!“ Aber sie fuhrwerkte sehr eifrig mit mir herum, erzählte Geschichten von ihrer Tochter, die beide Hosentaschen voller Regenwürmer hatte, und bestimmte ganz klar, welche Stockrose mit welcher Blütenfarbe an welchen Standort kommen sollte.
Außerdem verliebte sie sich in einen Tausendfüßer (Bild oben): „So fein! Schau mal, so fein, wie er sich schlängelt, und so kleine Beinchen…“ Er stürzte mehrfach ab und musste aus dem Gras geklaubt und zurück auf ihre Hand gesetzt werden.

Zum Schluss nahmen die Dame und ich uns ein Beet vor, das gestern nicht ganz fertig geworden war, und ich drängte einen unschuldigen Herrn dazu, der in der Nähe einsam auf der Terrasse saß, mir mit dem Spaten bei den dicken Wurzelausläufern im Boden zu helfen. Mit seinen Birkenstock-Schlappen kam er tatsächlich ins Beet und legte sich kräftig ins Zeug. Während dessen schimpfte er ununterbrochen: „Gestern waren hier sooo viele Leute, und heute biste ganz alleine, Marie. Das ist doch nicht in Ordnung! Wo sind die denn alle?“
Dabei war natürlich Zweck und Ziel der ganzen Aktion, möglichst viele SeniorInnen nacheinander einzubeziehen und aktiv werden zu lassen. Je kleiner die Gruppe, desto eher kann ich ZuschauerInnen mal schnell zum Mitmachen bewegen…

Wer sich konkrete Hinweise und Tipps für ein Gartenprojekt mit SeniorInnen wünscht, wird in der Schatzkiste Seniorenbetreuung fündig.

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Ehrenamtlich helfen: Ideen zum Bewerbungstraining mit Flüchtlingen

 

Meinen freien Tag heute habe ich spontan für eine Runde „Marie spielt Karriere-Beraterin und Job-Center-Beamtin“ geopfert, da „mein“ Flüchtling mich anschrieb und um Hilfe zum Bewerben bat.
So von jetzt auf gleich fiel mir auch erstmal nichts ein.
Aber dann kamen mir doch einige Ideen, die ich gerne teilen möchte:

  • Viele Flüchtlinge kommen aus Regionen mit instabiler Wirtschaft. Das heißt, dass es kaum Ausbildungen und Studiengänge gibt, und diese wiederum nur einer kleinen Oberschicht offen stehen. Entsprechend haben die Flüchtlinge nie eine Woche „Berufsorientierung“ in der Schule erlebt. Und mit den tausenden von Berufsbezeichnungen in Deutschland können sie wenig anfangen. Wie sollen sie also wissen, was sie können und welche persönlichen Qualitäten sie jenseits der Sprachbarriere einbringen können?
    Ich finde es sehr sinnvoll, darüber ins Gespräch zu kommen, worin die eigenen Stärken liegen. Was sie einerseits gern machen und andererseits gut können. Und wie diese Kompetenzen an den Sprachbarrieren vorbei zielführend eingesetzt werden können.
  • Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erscheinen unregelmäßig Sendungen mit dem Titel „7 Tage“. Dafür ist jeweils einE JournalistIn eine Woche lang unterwegs, um eine neue Umgebung zu entdecken. Sie probieren einen Beruf aus, leben in einer anderen Religion, tauchen in ein unbekanntes soziales Milieu ein. Die Dokumentationen laufen eine halbe Stunde, sind interessant und unterhaltsam. Wer einigermaßen deutsch spricht, lernt auf diese Weise viel über Berufe und über die Mentalität der Menschen, die sie ausüben.
    Hier einige Beispiele: Sieben Tage bei der Feuerwehr, Sieben Tage unter Bademeistern, Sieben Tage am Filmset, Sieben Tage Pflege daheim, Sieben Tage unter Spitzenköchen.
    Jenseits von Job-Center und Leistungsdruck können sich Flüchtlinge so einen Einblick in unsere Arbeitswelt verschaffen und gleichzeitig ihr Hörverständnis trainieren.
    Hier wird eine Übersicht der Themen gezeigt.
  • Plattformen für Studenten-Jobs bieten oft Tätigkeiten an, die ungelernt geleistet werden können. Manche Unternehmen beharren aus steuerlichen Gründen auf einen Studenten-Status. Aber auch viele Zeitarbeitsfirmen suchen auf diesem Weg nach Arbeitskräften. Ich rief spontan zwei Unternehmen an, die beide offen für „meinen“ Eritreer waren und bei denen er sich morgen gleich vorstellt.
    Der Trick ist natürlich, dass sie als ersten Eindruck mein perfektes Deutsch sowie meine Empfehlung haben. Hätte er sich mit gebrochenem Deutsch am Telefon selbst gemeldet, wäre es wahrscheinlich nicht so schnell zur Einladung gekommen…
    Für den Hamburger Raum empfehle ich das „Stellenwerk“ für ungelernte Jobs und Praktika aller Art.
  • Wer kennt wen, die oder der im gewünschten Arbeitsbereich Erfahrungen hat?
    Wenn Flüchtlingen sich mit ihren geringen Sprachkenntnissen und ihrer dunklen Hautfarbe bewerben, macht sich kaum jemand die Mühe, einen Blick zu riskieren oder sogar ein Vorstellungsgespräch einzuleiten. Hat keine Berufserfahrung, ist nicht deutsch, sieht fremd aus, brauchen wir hier nicht. Fertig.
    Wenn ich aber eine KFZ-Mechanikerin, einen Krankenpfleger oder einen Fliesenleger kenne, denen ich „meinen“ Flüchtling persönlich empfehle, sieht die Lage schon ganz anders aus. Wenn ich die Person empfehle und betone, dass ich sie als freundlich, zuverlässig und interessiert erlebe, ist dieser Vertrauensvorschuss Gold wert. Also, wer kennt wen, und sei es über drei Ecken?

 

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Glücksrezept, dritte Zutaten

Ein weiteres Zitat aus Maike van den Booms schlauem Buch  „Wo geht´s denn hier zum Glück? Meine Reise durch die 13 glücklichsten Länder der Welt und was wir von ihnen lernen können“:

>> Dieses WIR-Gefühl ist nicht der Anfang von Kriegen. Und so tritt auch unser Bundespräsident für ein selbstbewusstes gemeinsames Deutschland ein und sagte in seiner Rede am holländischen Befreiungstag 2012 im niederländischen Breda:
„Gefahren gehen nicht von Menschen aus, die zu sich selber gefunden haben, sondern von Menschen, die einen Minderwertigkeitskomplex haben.“
Ein Deutschland, das sich selbst liebt, ist ein Geschenk an die Welt. Und an sich selbst.
Und wir können uns gern haben. Wir haben viel erreicht. Es geht uns saugut in Deutschland. Keine besonderen Vorkommnisse innerhalb unseres Landes, die nicht auch in jedem anderen vergleichbaren Land vorkämen. Wirtschaftlich stehen wir blendend da. Aber auch um uns herum: alles friedlich. Wir sind umgeben von Freunden, die nur Gutes im Sinn haben. Wir werden respektiert, wir werden geliebt. Ist das nicht einfach nur großartig?
Ja. Und da sitzen wir dann mit unserem guten Leben und einer Realität, die kaum besser sein könnte. Und besser ist, als sie jemals war. Und wissen nicht so recht, was wir damit anfangen sollen. Wo sind die Probleme, die wir immer lösen mussten, wo sind die Konflikte hin? Auch mit unserem Schuldgefühl können wir nicht mehr glänzen, ohne dass der Rest der Welt genervt mit den Augen rollt. Ja, verdammt, wir sind doch tatsächlich ein stinknormales Land geworden! Und jetzt haben wir als Volk die Chance, uns neu zu erfinden.
Wie möchten wir sein? Wo wollen wir hin? In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?<<

 

Teil 1 und 2 der Glückrezepte sind hier erschienen.

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Buchrezension: „Das Paradies ist weiblich. Eine Reise ins Matriarchat“ von Ricardo Coler

Herbstwald

 

Wer mein Blog seit Jahren verfolgt, wird feststellen, dass der heutige Artikel nicht „Buchempfehlung“ sondern „Buchrezension“ heißt. Und das hat einen Grund.
Ricardo Coler stammt aus Argentinien und kennt eine vom Machismo geprägte Gesellschaft. So reist er mit einem respektlosen Chinesen als Übersetzer in eine entlegene Region Süd-Chinas, um dort das Volk der Mosuo kennenzulernen.
Die Mosuo leben im Matriarchat, dabei gilt die Zugehörigkeit zur Familie über die Mutter. Männer bleiben lebenslang bei ihrer Familie und arbeiten dort unter den Anweisungen der Frau, die der Familie vorsteht. Über Nacht besuchen die Männer die Frauen, müssen jedoch vor Sonnenaufgang verschwunden sein. Da kein Kind einen offiziellen Vater hat und keine Ehen geschlossen werden, ist die Familie ein sehr starker und langlebiger Zusammenhalt unter dem Einfluss der Frauen. Wenn eine Frau möchte, lässt sie für längere Zeit nur den gleichen Mann zu Besuch kommen. Lässt er es an Loyalität diesem exklusiven Arrangement gegenüber vermissen, darf er sie nicht länger besuchen kommen. Da die Frauen die Verantwortung für die Familie tragen, wird für alle Generationen gleichermaßen gesorgt. Die Frauen arbeiten hart in der Landwirtschaft und delegieren einen Teil der Aufgaben an die Männer der Sippe. Oft lungern die Männer aber auch auf dem Dorfplatz oder am See herum und tun den ganzen Tag nichts anderes, als Karten zu spielen. Es gibt keine Gewalt, auch keine Form der Strafe bei Fehlverhalten. Es gibt weder Neid noch Streben nach Besitz und Macht. Das höchste Ziel der Frauen ist es, ihre Familie zu ernähren und in Frieden zu leben.
Bedauerlicherweise schafft Ricardo Coler es nicht, die eigene kulturelle Brille abzulegen. Es fängt damit an, dass er aus einer patriarchalen Kultur kommt, in der er als weißer Mann seit Jahrhunderten der Sieger ist. Statt sich zu überlegen, wie er wohl einer komplett anderen Kultur begegnet, in der er nur ein unbedeutender Knecht ist, holt er sich einen unhöflichen chinesischen Übersetzer. Dieser kann mit anderen Gesellschaftsformen noch weniger anfangen als Herr Coler und benimmt sich regelmäßig respektlos der Dorfgemeinschaft gegenüber. Auf diese Weise verhält sich die Sippe, in deren Hof er übernachten darf, höflich-distanziert dem Gast und seinem Begleiter gegenüber.
Ich denke: Kein Wunder. Würde ich in den Palast des aktuell regierenden Scheichs der arabischen Emirate marschieren und glauben, ich bekäme als zierliche westliche Frau einen großartigen Empfang, würde ich schneller vom Tor verscheucht, als ich laufen könnte. Andere Gesellschaft, andere Geschlechterrollen, andere Umgangsformen. Das ist doch völlig klar. Würde ich den Scheich in Abu Dhabi besuchen wollen, wäre ich doch so schlau, einen listigen und körperlich beeindruckenden Mann als Begleiter zu engagieren. Schließlich brauche ich im Herrschaftsbereich der Männer, deren Kultur mir fremd ist, natürlich einen Mann als Türöffner. Entsprechend überzeugend und sozial intelligent müsste er sein, um seinen Job als Bindeglied erledigen zu können, damit ich im Anschluss meinen Auftrag angehen kann.
Aber Herr Coler wundert sich, warum er den Eindruck hat, diesen stolzen und beherrschten Frauen keine Fragen über Sex stellen zu können. Oder über ihr privates Gefühlsleben und andere Intimitäten. Als fremder Mann aus einer anderen Kultur mit einem unprofessionellen Übersetzer, der sich in eine komplett andere Art der Wertvorstellungen begibt, kann er nicht erwarten, die Geheimnisse dieses Volkes auf einem Silbertablett präsentiert zu bekommen. Nur ein Macho aus einer patriarchalen Welt glaubt das.
Entsprechend oberflächlich sind die tatsächlichen Fakten, entsprechend schwammig fällt das Bild über das Leben der Mosuo aus. Warum das Buch ein Bestseller wurde, ist mir schleierhaft. Wenn eine gründlich recherchierende Frau mit entsprechender interkultureller Kompetenz die Mosuo besuchen und darüber schreiben würde (oder jedes andere verbliebende Matriarchat dieser Welt), würde ich das sehr gern lesen.
So ehrenwert es ist, wenn Männer Räume jenseits des Patriarchats entdecken – wenn sie sich nicht darauf einlassen und ständig alles durch ihre westliche Brille beurteilen, hat es keinen Wert.

Einen tatsächlichen Blick in den Alltag bietet das (mir bisher unbekannte) Buch „Das Land der Töchter: Eine Kindheit bei den Moso, wo die Welt den Frauen gehört “ von Yang Erche Namu.

 

 

Herbstlaub

aufmerksam, glaubhaft

Worüber würdest du dich freuen, wenn du ein armes Kind wärst?

Bei uns im Gottesdienst gibt es jeden Sonntag ein „Wort an die Kinder“. Sie werden altersgerecht angesprochen, erfahren Aufmerksamkeit und Wertschätzung seitens der Erwachsenen und verlassen anschließend den Gottesdienstraum für ein eigenes Kinderprogramm.
Heute übernahm ich relativ spontan sowohl einen Teil der Moderation als auch das „Wort an die Kinder“. Als Gesprächsanlass nahm ich das Paket für „Weihnachten im Schuhkarton“, das ich gepackt hatte und im Anschluss abgeben wollte.
„Weihnachten im Schuhkarton“ ist eine Initiative, die dazu einlädt, bedürftigen Kindern in Osteuropa und Asien ein Paket zu senden. Für drei unterschiedliche Altersgruppen gibt es Empfehlungen, welche Gegenstände benötigt werden und welche nicht eingepackt werden dürfen (aus Gründen der Sicherheit und Logistik, um Gläubige anderer Religionen zu respektieren oder um Kinder aus Kriegsgebieten nicht zu ängstigen). Je nach Religion vor Ort wird die Weihnachtsgeschichte als Heft beigelegt oder nicht. Die Pakete werden regional gesammelt, kontrolliert, beanstandete Gegenstände (wie Second-Hand-Kleidung, Gummibärchen mit Gelatine oder Kriegsspielzeug) entfernt und mit LKWs auf den Weg gebracht.
Da noch bis zum 15.11.2016 Päckchen gepackt werden können, teile ich heute mein „Wort an die Kinder“, das sich als Impuls sicher auch für andere Kirchengemeinden und Kindergottesdienste eignet.

Weihnachten im Schuhkarton

„Hallo Kinder, kommt doch mal zu mir nach vorn auf die Treppenstufe. Ich habe euch heute ein Paket mitgebracht. Und einen großen Beutel. Wer von euch nimmt bitte den Karton? Ich habe nämlich nicht so viel Platz auf meinem Schoß.
(Übergebe einem Kind, das gern den Karton halten möchte, den bunt beklebten Schuhkarton)
Jetzt schau mal in das Paket rein. Ist da was drin? Nee, das ist leer. Ich möchte mit euch heute ein Paket packen. Für ein Kind, das in einem anderen Land lebt und dessen Familie nur sehr wenig Geld hat. Stellt euch vor, ihr seid ein Kind in einem fernen Land. Mama und Papa müssen immer arbeiten, und obwohl sie so viel arbeiten, verdienen sie nur ganz wenig Geld. In dem Land ist es im Winter sehr kalt, und der eisige Wind pustet bis ins Haus rein. Das Haus ist nicht so gemütlich und warm wie bei uns, weil gute Häuser viel Geld kosten. Und das hat die Familie nicht. Bei der Familie gibt es nur so langweiliges Essen wie Reis und Kartoffeln, manchmal ein bißchen Gemüse. Aber keine Schokolade und keinen Kuchen, das ist zu teuer. Wenn ihr dort ein Kind wärt, hättet ihr nur wenig Spielzeug. Und das müsstet ihr euch mit den Geschwistern immer teilen. Wenn das Spielzeug kaputt geht, gibt´s erstmal kein neues. Wenn ihr wachst und die Hose zu kurz wird, oder der Pulli zu klein, dann müssen Mama und Papa extra arbeiten, um Geld für Klamotten zu verdienen. Und wenn in der Schule der Bleistift ganz klein geschrieben ist und die Filzstifte verbraucht, dann ist das Pech. So ist das Leben bei einer armen Familie. Da habt ihr das hier richtig gut, wenn wir mal drüber nachdenken.
Jetzt überlegt mal: Wenn ihr so ein armes Kind wärt, worüber würdet ihr euch freuen?
In diesem Beutel habe ich alle möglichen Dinge drin, die das Kind gut gebrauchen kann. Ihr sagt mir einfach eure Ideen und mal gucken, ob ich das ins Paket packen kann. Das Paket ist ganz in echt für ein Kind, das mache ich nachher zu und gebe es ab.

(Die Kinder nennen ihre Vorschläge, ich moderiere. Passende Gegenstände hole ich aus dem Beutel, gebe sie dem jeweiligen Kind, lasse sie einmal „untersuchen“ und den Gegenstand in den Karton legen. Vorschläge, zu denen ich nichts griffbereit habe, kommentiere ich wertschätzend und sage kurz, warum ich sie nicht dabei habe (Zu groß für einen Schuhkarton, nicht für den weiten Weg bis an den Zielort geeignet, habe selbst nicht dran gedacht, usw.) Sobald die Ideen weniger werden, lege ich den Beutel in die Mitte und die Kinder können reingreifen. Ich nenne, was sie herausholen, und warum das Kind diese Gegenstände braucht.)

Vielen Dank für eure Hilfe. Wir haben zusammen eine Überraschung für ein Kind vorbereitet. Jetzt kommt das Paket zu einer Sammelstelle und wird dort in einen Laster gepackt, damit es auf die Reise gehen kann. Es sind noch zwei Wochen Zeit, bis das letzte Paket abgegeben werden soll. Vielleicht habt ihr ja Lust, zusammen mit Mama und Papa praktische und schöne Sachen einzukaufen und auch einen Karton zu packen. Dann bekommt von uns nicht nur ein Kind ein Paket, sondern zwei oder drei oder vier Kinder können sich freuen.“

Weitere Impulse für Kindergruppen:

Frühjahrsputz im Herzen
Wie leben wir Christen Gemeinschaft?
Danke-Konfetti für Erntedank
Fasching: Wollen wir echt sein oder Masken tragen?
Pfingsten: Den Heiligen Geist kindgerecht erklären

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Buchempfehlung: „Regretting Motherhood: Wenn Mütter bereuen“ von Orna Donath

Ich habe keinerlei Kinderwunsch, entsprechend finden „unkonventionelle Diskussionen“ über „ungewöhnliche“ Lebensentwürfe, Familienpolitik und Geschlechterrollen bei mir meist Interesse und Wohlwollen. Natürlich gibt es auch Themen, die ich in Bezug auf Kinderwunsch und -erziehung schwierig finde. Da ich mich jenseits des „Du bist jung und gesund, gebär Kinder für Deutschlands Zukunft und um endlich deine Bestimmung als Frau zu finden“-Diktats bewege, sehe ich vieles offener als andere.
Entsprechend hat mich die Diskussion über „Regretting Motherhood“ (also Frauen, die bereuen, Kinder bekommen zu haben), überhaupt nicht schockiert: Ich finde es völlig naheliegend, dass es Mütter gibt, die nach der Geburt des ersten Kindes glücklich sind – genauso wie Mütter, die mit ihrer neuen Rolle hadern und nicht derart im veränderten Alltag aufgehen, wie es die Klischees darstellen. Würde ich schwanger werden, würde ich es jede einzelne Sekunde bereuen, sobald sich der blaue Strich auf dem Schwangerschaftstest zeigt. Da ich das hundertprozentig weiß, passe ich auf, dass es niemals dazu kommt.
Doch was, wenn Mütter dachten, sie würden sich über Nachwuchs freuen und sich dann in einer ganz anderen Wirklichkeit wiederfinden?

 

 

Haus am Deich

 

Orna Donath, eine israelische Wissenschaftlerin, hat 2008 erstmals begonnen, „dem Unausgesprochenen Raum zu geben“. Denn das etwas so Naturgegebenes wie die Mutterschaft die Frauen mit vielen Ambivalenzen und auch Ablehnung der eigenen Rolle erfüllt, durfte bis vor Kurzem einfach nicht gesagt werden. Weil es nicht gibt, was es nicht geben darf. In „Regretting Motherhood: Wenn Mütter bereuen“, dem vertiefenden Buch zur Studie, schreibt sie:

Welches Land ich auch betrachtete, das Bild blieb immer dasselbe: Frauen gebären, ziehen Kinder groß, nehmen die ungeheuren Mühen der Mutterschaft auf sich, aber dass sie diese bereuen könnten, kommt kaum jemals zur Sprache. (…)
Die durchgängige Botschaft lautet: Wenn du über 30 bist, wird dein Zeitfenster für die Gründung einer Familie allmählich kleiner. Du glaubst vielleicht immer noch, dass dich das nichts angeht, aber du täuschst dich; der Wunsch danach wird dich irgendwann überfallen, aber dann wird es zu spät sein: >Das wirst du noch bereuen!<
Wenn eine Gesellschaft die Nichtmutterschaft als einen gefährlichen und höchst bedauernswerten Zustand darstellt, kann sie damit einen Rahmen festlegen, der die Erlebniswelt von Frauen begrenzt, ohne Rücksicht darauf, dass deren subjektive Erfahrungen viel komplexer sind und weit darüber hinausgehen, als diese simple Behauptung erkennen lässt. Und während dieses Verwirrspiel aus Drohungen und Warnungen permanent gegen viele Frauen eingesetzt wird, wird die Kehrseite der Medaille verschwiegen: Die Stimmen derer, die ihre Mutterschaft im Nachhinein bereuen, bleibt ungehört, und weil sie nicht gehört werden, wird einfach angenommen, dass es sie nicht gibt.(…)
Ob der Partner manifesten, latenten oder unsichtbaren Druck ausübt, oft bleibt der traditionelle gegenderte Status quo erhalten, nach dem vor allem Männer profitieren, wenn der ursprüngliche Wunsch der Frau, nicht Mutter zu werden, unsichtbar oder ungehört bleibt und andere Familienmitglieder sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen. Ihr Wünsche bleiben unausgesprochen oder ungehört, während der Partner zum >Familienboten< wird, der die >kanonische Geburtsbotschaft< überbringt. Hier geht es also um die direkten Machtverhältnisse in der Partnerschaft; da werden zuweilen sogar ungeborene Kinder als Machtmittel und Verhandlungsargument eingesetzt, sodass es zu Entscheidungen kommt, die die Beziehung aufrecht erhalten und die Kontinuität sichern. (…)
Dass diese Erfahrung weder gesehen noch verstanden wird, geht auf die gebetsmühlenartige Wiederholung der gesellschaftlichen Botschaft zurück: Frauen, die nicht durch das schwanger werden, was man gemeinhin unter Vergewaltigung (also körperlicher Gewaltanwendung) versteht, wurden es aus freier Entscheidung, nach ihren Wünschen und Vorstellungen. (…)
Frauen willigen gegen ihren Willen ein, wenn sie zu gegebener Zeit gezwungen sind, pragmatisch zwischen einer aus ihrer Sicht schlechten Option – schwanger werden und ein Kind bekommen – und einer noch schlechteren Option wählen müssen, nämlich Scheidung oder Obdachlosigkeit, Schmähung durch die Familie oder die Gemeinschaft oder finanzielle Abhängigkeit.“

 

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Mutterschaft ist keine Privatsache. Mütter stehen permanent und restlos in der Öffentlichkeit. Tagtäglich bekommen Mütter zu hören, dass sie alles, was eine Mutter braucht, von Natur aus mitbringen und somit instinktiv wissen, was zu tun ist. Doch gleichzeitig wird ihnen von der Gesellschaft genau vorgegeben, wie sie die Beziehung zu ihren Kindern zu gestalten haben, um als „gute Frau“ und „gute Mutter“ zu gelten, also als Mensch und als moralische Instanz.
Dabei schreibt das gängige Modell, das das öffentliche Bild von einer Mutter in heutigen westlichen Gesellschaften prägt, die Versorgung der Kinder fast ausschließlich der Mutter zu. Dieses vorherrschende Modell verlangt von Müttern, sich vollständig auf ihr Kind zu konzentrieren, sich emotional-kognitiv einzubringen und eine zeitaufwändige Betreuung zu leisten. Diesem Bild zufolge sind Mütter von Natur aus aufopfernd, arbeiten fortwährend an sich, um immer besser zu werden, und widmen sich mit endloser Geduld derart ergeben der Fürsorge anderer, dass sie darüber beinahe vergessen müssen, dass sie selbst auch noch eine Persönlichkeit und eigene Bedürfnisse haben. (…) Dieser Erwartung zufolge liebt die „gute Mutter“ jedes ihrer Kinder bedingungslos und ohne Einschränkung (sonst ist sie „unmoralisch“); sie ist anmutig wie eine Madonna, wenn nicht sofort nach der Geburt, dann wenigstens mit den Jahren; und wenn eine Mutter auch nicht auf Rosen gebettet ist, so ist es für sie doch Ehrensache, die Strapazen, die ihre Lage nun einmal mit sich bringt, freudig auf sich zu nehmen, schließlich handelt es sich um ein notwendiges, unvermeidliches Übel auf ihrem Lebensweg. (…)
Es zeigt sich, dass die Reglementierung von Muttergefühlen, wie sie hier deutlich wird, mit kulturellen Vorstellungen von Zeit- und Erinnerungsregelementierungen in Verbindung gebracht wird, denn Müttern wird nicht nur diktiert, wie sie fühlen sollen, sondern auch noch, woran sie sich erinnern und was sie vergessen sollen.“

 

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Während sich viele Mütter in der ersten Zeit nach der Geburt unterschiedlichen Herausforderungen gegenübersehen, die nach und nach weniger werden können, wenn sie die Situation zum Besseren entwickelt, beschreibt Reue eine emotionale Haltung gegenüber der Mutterschaft, die sich im Laufe der Zeit nicht ändert und auch nicht bessert. (…)
Es gibt zahlreiche Zeugnisse darüber, dass die Mutterschaft die physische und mentale Gesundheit von Freuen beeinträchtigen kann: Krankheiten, Depressionen, Erschöpfung, emotionale Krisen, körperliche Schäden und der Verlust des gesellschaftlichen Status sind nur einige Beispiele für die Erfahrungen, die Frauen sogar noch Jahre nach der Geburt ihrer Kinder machen. Doch obwohl diese Zusammenhänge schon seit geraumer Zeit bekannt sind und ständig um neue Erkenntnisse dazu erweitert werden, sind sie nicht in der Lage, die mythische Vorstellung zu untergraben, dass Mutterschaft – selbst wenn sie mit einer Krise beginnt – irgendwann unvermeidlich zur Anpassung und letztlich zu einem Happy End führen wird. (…)
Mütter bleiben zu Hause, Väter können gehen, wann immer sie wollen.
>Väter spüren die Anstrengungen, aber bei ihnen ist es noch viel akzeptierter, dass sie die Flucht antreten. Studien belegen, dass Väter nach der Geburt eines Kindes plötzlich deutlich mehr Überstunden machen und sich neue Hobbys suchen – um abends und am Wochenende möglichst wenig verfügbar zu sein. Das betrifft natürlich nicht alle. Aber sie spüren, wie anstrengend es ist, wenn da plötzlich ein Kind ist. Sie versuchen, sich selbst rauszunehmen. Das ist sozial akzeptiert. Wenn die Mutter hingegegen sagt: „Ich mache heute Yoga , morgen gehe ich mit Freundinnen etwas trinken“ – da würde sich jeder wundern, was mit der los ist.< „

 

 

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aufmerksam

Eintritt frei: Kostenlose Veranstaltungen in Hamburg

Zarte Rose

 

Jetzt habe ich in den letzten Wochen diversen Personen von den „Kulturlotsen“ erzählt und während eines Seminars (als Teilnehmerin) einen Stehgreif-Vortrag darüber gehalten, weil es mir gerade passend schien, und habe mein eigenes Blog dabei völlig außer acht gelassen. Passiert.

Also, die „Kulturlotsen“ sind ein Verein ehrenamtlicher Interessierter, die auf ihrer Website kostenlose Veranstaltungen in Hamburg sammeln. Mit der Hilfe vieler HamburgerInnen, die über ein Formular selbst Events melden können. Diese werden geprüft, um fehlende Informationen ergänzt und online gestellt. Für alle Generationen sind Konzerte, Ausstellungen, Lesungen, Führungen, Filme und vieles mehr im Angebot.
Ziel ist, Menschen mit wenig Geld den Besuch von Veranstaltungen zu erleichtern, indem nur kostenlose Angebote veröffentlicht werden. SeniorInnen, die mit geringer Rente auskommen müssen und gerne in Gesellschaft sind werden ebenso angesprochen wie Kinder mit Migrationshintergrund, die selten Zugang zu kulturellen Angeboten haben. Auch Menschen mit Behinderungen werden mit möglichst vielen Informationen zum Thema „Barrierefreiheit“ versorgt, um ihnen die Teilnahme zu ermöglichen.

Warum schreibe ich darüber?
Zum Einen, weil ich diesen Verein großartig finde, der sich für die Personengruppen im reichen Stadtstaat Hamburg einsetzt, denen der Zugang zu Kultur oft schwer gemacht wird. Unnötiger Weise, wie das breite Angebot an kostenlosen Möglichkeiten zeigt.

Zum Anderen, weil jeder Verein von Mitarbeit lebt: Durch Menschen, die kostenlose Veranstaltungen melden. Durch Menschen, die hinter den Kulissen redigieren. Und durch Menschen, die zu denen gehören, die etwas abgeben können und den Verein finanziell unterstützen.
In diesem Sinne lade ich herzlich dazu ein, diese sinnvolle Möglichkeit von „Kultur für alle“ zu fördern.

 

Üppige Rose

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Was ich von Bornholmerinnen gelernt habe

Der Urlaub ist vorbei, schöne Erinnerungen und einige Kleinigkeiten, die in die Satteltaschen passten, haben wir mitgebracht. Auch einige Lektionen, die ich heute teilen möchte:

Heckenrose

Spleens ausleben – und es genießen!
Auf Bornholm werden ganzjährig Weihnachtsdekorationen verkauft. Auf jedem Markt stehen ältere Damen und bieten diverse Engel, Trolle und Nisse an: Gefilzt, gehäkelt, genäht und gestrickt. In Svaneke verkaufte eine Frau mit größter Selbstverständlichkeit Weihnachtsmäuse, aus Stoff genäht, mit goldenen Ohren. Ebenso „Heleåretsmuse“, also Ganzjahresmäuse, mit genauso goldenen Ohren. Also. Wer nun immernoch keine handgemachten Mäuse haben wollte, war selbst schuld! Jede Keramikwerkstatt, jede Glasbläserei, alle haben eine Weihnachtsecke. Denn wer weiß, ob wir rechtzeitig vor dem Advent noch einmal vorbei kommen, um uns mit Nissen und Rauschgoldengeln einzudecken? Eben. Also wird das entsprechende Sortiment unterm Sonnenschirm auf dem Dorfplatz vorrätig gehalten. Hier wird die Sevicementalität wirklich gelebt!
Es gibt sogar ganzjährige Weihnachtsgeschäfte. DAS nenne ich einen konsequenten Spleen.

Helligdomsklipperne

Mittelmaß wertschätzen
Oft sind wir den vollmundigen Versprechen der Touristenwegweiser gefolgt, die wöchentlich aktuell erscheinen. Mit dem Rad fuhren wir Tagestouren von dreißig bis sechzig Kilometer über die Insel, um all die „Attraktioner og oplevelser“ zu entdecken, die so überzeugend angepriesen wurden. Es waren ganz wunderbare Ausflüge, aber vor Ort dachten wir oft „Im Ernst? DAS soll großartig sein?!?“ Ab der zweiten Woche pfiffen wir auf all die beworbenen Veranstaltungen, sie wurden unseren Erwartungen eh nicht gerecht. Und nachdem eine ganz supertolle Fahrradroute sich als miese Strecke entpuppte, die selbst in Tansania besser befahrbar gewesen wäre, ist endgültig klar: Eigenlob stinkt auf Bornholm überhaupt nicht, alle finden sich und ihre Angebote super. Was zu der Vermutung verleitet, dass die BornholmerInnen entspannter und zufriedener sein müssten als wir perfektionssüchtigen Deutschen.
Ehrgeiz bringt uns voran, aber oft auch näher der Erschöpfung, als nötig wäre.

Kleiner Fuchs

Das Glück im Naheliegenden finden
Bornholm hat wirklich eine faszinierende Natur zu bieten: Küsten mit malerischen Kiefernwäldern und feinstem Sandstrand wechseln sich mit breiten Dünenlandschaften und lieblichen Buchten ab. Auf der anderen Seite der Insel ragen raue Klippen viele Meter aus aufgewühlten Wellen hinauf, während nebenan abwechslungsreiche Schären einen der vielen Leuchttürme umgeben. Verwunschene Wälder, wilde Moore, hügelige Heidegebiete und vorzeitliche Täler mit tiefen Schluchten lassen sich erwandern. Diverse historische Dörfer, einmalige Rundkirchen, Felszeichnungen aus der Steinzeit und alte Mühlen gibt es zu entdecken. Obendrauf eine Vielzahl an KünstlerInnen in ihren offenen Ateliers, sodass wirklich jeder Geschmack bedient wird. Wer jedoch „nur“ ein Fahrrad hat, kommt bei Gegenwind und schlängeligen Radwegen nicht so zügig voran, wie gewünscht. Kurz: Es ist viel Muskeleinsatz nötig, um die schönsten Ecken zu entdecken. Und immer gibt es diverse Möglichkeiten, die nicht umgesetzt werden, weil die Stunden am Tag und die Kraft nicht ausreichen. Dann zufrieden zu sein, auch wenn einige Punkte auf der Erlebnisliste offen bleiben, bedeutet eine Willensentscheidung. Umso schöner ist es, festzustellen, dass unser „Privatstrand“ nahe des Ferienhauses der tatsächlich beste der Insel ist: Wunderschöne Natur, klares Wasser, kräftige Wellen, feiner Sand, und stundenlang blieben wir fast ganz allein. Das stand in keinem Reiseführer und ist doch der Ort der schönsten Stunden gewesen. Hier haben wir am meisten gelacht, uns ausgepowert und entspannt. Oft liegt das Glück so nah…

Privatstrand

Hyggelig über alles
Bekanntermaßen lieben die DänInnen alles, was „hyggelig“ (gemütlich) ist. Und was nicht bereits gemütlich ist, wird gemütlich gemacht. Was dann nicht gemütlich ist, wird einfach als solches deklariert. Ich zumindest habe bis heute nicht verstanden, was an der zugigen Surfschule gemütlich sein soll, die am streng nach fauligen Algen riechenden Balka-Strand liegt. Das durchschauen wohl nur BornholmerInnen…. Jedenfalls finde ich es in Deutschland oft genug überhaupt nicht gemütlich. Liebloses Design, zugige Flure, öde Büros verbessern wohl kaum die liebste Beschäftigung der Deutschen: Produktivität mit Effektivität. Bisher habe ich mich in jedem Unternehmen in jedem Meetingraum verloren gefühlt und gefroren. Blanke Wände plus viel Dunkelgrau plus strenge Sitzordnung plus fiese Klimaanlage laden so richtig zu angeregtem Austausch ein. Weder Ämter noch Schulen, Altenheime und Kindergärten müssen abweisend aussehen und den Charme von Kasernen haben. Wer findet das landesweit eigentlich so wichtig, dass es kein Entrinnen gibt?
Ein bisschen Lächeln im Bus und lockerer Small-Talk mit Fremden beim Einkaufen hellen das Miteinander deutlich auf – sogar in Deutschland. Wie wär’s mit einer Runde „Hygge“?

Rönne

Inklusion ist normal, kein super-soziales Extra
Wir kamen von einer Runde mit dem Rad ins Zentrum von Rønne gefahren. Schon von Weitem hörten wir laute Musik vom Store Torv. Ich dachte zuerst, es sei die örtliche Realschule, deren Jugendliche sich an den Mikros ausprobieren. Als wir auf dem Weg zu einem „Frozen Skyr“ an der Bühne vorbei kamen, stellte ich fest, dass es sich um Menschen mit Behinderungen handelte. Sie spielten gemeinsam mit BetreuerInnen bei bestem Wetter auf dem zentralen Platz der Stadt vor den Augen vieler ZuschauerInnen. Die Stimmung war hervorragend, auch wenn es eher lärmig als musikalisch klang.
Davon unabhängig entdeckte ich, dass JEDE winzige Dorfkirche auf Bornholm eine Induktionsschleife für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit haben. Jede – kleine – Dorfkirche. Nicht wie in Deutschland, wo jeder hundertste Veranstaltungsort mit viel Trara und Bohei sich der Inklusion widmet, indem sie Türschwellen abbauen, Fahrstühle einbauen und Induktionsschleifen einrichten. Und sich danach jahrelang wahnsinnig sozial und großzügig „den Alten und Behinderten“ gegenüber fühlen.

Tag der offenen Gärten

Auf kreative Lösungen mit wenig Kosten verstehen die DänInnen sich, hier ein Bild vom „Tag der offenen Gärten“.

aufmerksam, feminin, glaubhaft

Herzlich willkommen zum „Club der ausgestiegenen Logopädinnen“

Neulich habe ich einen Artikel über „das wahre Leben der Logopädinnen“ geschrieben. Die Reaktionen von Logopädinnen darauf zeigen, dass ich einen Nerv getroffen habe und unsägliche Zustände auch andere Sprachtherapeutinnen aus ihrem Beruf vertrieben haben. Ich persönlich kenne mehr Logopädinnen, die aufgegeben haben, als Logopädinnen, die auch nach einer Vielzahl von Berufsjahren engagiert tätig sind.
Die Reaktionen von Nicht-Logopädinnen zeigen, dass kaum jemand glauben möchte, dass es in niedergelassenen Praxen (und dort arbeitet die große Mehrzahl der Sprachtherapeutinnen) tatsächlich so prekär aussieht.

In diesem Zusammenhang kam mir der Gedanke, für all jene Sprachtherapeutinnen den „Club der ausgestiegenen Logopädinnen“ zu gründen: Und sei es rein virtuell allein der Gedanke einer Interessengemeinschaft. Tatsache ist, dass Logopädinnen weiterhin vorrangig aus akademischen Kreisen stammen, aber der Beruf nicht akademisiert ist (darum kämpfen wir seit mehr als hundert Jahren…). Somit hat die Logopädin, die ihren Beruf schweren Herzens hinter sich lässt, zwei Makel in den Augen der PersonalerInnen, auf die sie nun trifft:
Erstens ist eine Berufsfachschule für Logopädie nicht die Art von Bildung, die Unternehmen gerne sehen. Völlig egal, wie viele Unterrichtseinheiten wir von Medizin über Psychologie bis hin zu Rechtskunde hatten: Niemand ahnt die Breite des Wissens und niemand lässt sich davon überzeugen.
All die Kompetenzen, die eine Logopädin im Praxisalltag entwickeln muss, sind ebenfalls im Lebenslauf schlecht darstellbar:
Organisationstalent (sonst bestelle ich für Dienstag um 14.30 Uhr zwei PatientInnen gleichzeitig ein und für Mittwoch um 11.45 Uhr versehentlich niemanden, was eine Menge Ärger und unbezahlte Arbeitszeit gibt), Büromanagement (sonst würde ich all die Anmeldungen nie aufnehmen und Rückrufe vergessen, auch Ärzte bekämen ihre Therapieberichte zu spät, von der Abrechnung der ärztlichen Verordnungen ganz abgesehen) sowie eine umfassende Menschenkenntnis, weil von SozialhilfeempfängerInnen bis PrivatpatientInnen alle Gesellschaftsgruppen innerhalb weniger Stunden durch das Behandlungszimmer laufen.
Zusätzlich viel Spontanität, da kaum eine Therapiestunde so abläuft, wie geplant, denn täglich steht der „Faktor Mensch“ im Mittelpunkt. Alle anderen Kompetenzen und Voraussetzungen habe ich hier beschrieben.

 

Wie soll nun eine Logopädin, die ihren Job hinter sich gelassen hat und als begeisterte Quereinsteigerin im Bewerbungsgespräch sitzt, erklären, was sie alles kann? Die meisten Personen denken bei Logopädie an „sprachförderndes Bauernhof-Spielen“ und „intensives Baustellen-Buch-Vorlesen“. Tatsache. Kaum jemand kennt die Komplexität des Berufs, entsprechend schwierig ist es, aus der „logopädischen Ecke“ herauszukommen: Es wird uns schlicht nichts zugetraut. Was daran liegt, dass die Logopädinnen keine Lobby haben und der Bundesverband der Logopädinnen ein gleichzeitig chaotischer und zickiger Hühnerhaufen ist. Sorry, hier muss ich sämtliche Klischees bestätigen.

Insofern: Auf zum „Club der ausgestiegenen Logopädinnen“! Wir ermutigen uns und finden individuelle Wege, die Kompetenzen der Therapeutenlaufbahn mit neuen beruflichen Ideen zu verknüpfen! Wir kennen die Misere aus dem Effeff, niemand muss sich hier rechtfertigen! KeineR kommt mit dem dämlichen Satz „Ich dachte, Logopädin ist ein schöner Beruf!“ Ja, Ladies, es ist ein spannender Beruf. Aber weder rentabel noch mit Perspektiven gesegnet. Schluss mit dem Zaudern, wir schmeißen hin und nehmen neue Möglichkeiten in den Blick!

Wer macht mit?

Für alle Interessierten habe ich da mal etwas vorbereitet… 😉