aufmerksam, glaubhaft

Krankenkassen hindern TherapeutInnen in der Ausübung ihres Berufs

Seit die neuen Heilmittelrichtlinien gelten, haben wir angestellten Logopädinnen in der Praxis alle deutlich mehr Verwaltungsaufwand, der täglich zu stemmen ist.

Die Heilmittelrichtlinien werden von den Krankenkassen aufgestellt und müssen von den HeilmittelerbringerInnen (Ärztinnen und Ärzten, Therapeutinnen und Therapeuten) eingehalten werden. Das bedeutet, dass die Krankenkasse verlangt, dass Verordnungen der ausstellenden ÄrztInnen in allen Kreuzen, Kürzeln, Formulierungen, Daten und Zahlen hundertprozentig dem entsprechen müssen, was sich die Bürokraten in ihren heimeligen Büros ausgedacht haben. Dies hat NICHTS mit der Qualität der verordneten Maßnahmen zu tun – es verfünffacht für alle Beteiligten den Verwaltungsaufwand und lässt ÄrztInnen im für den Patienten schlimmsten Fall von der Behandlung absehen.
Die neuen Heilmittelrichtlinien bedeuten sowohl mehr Aufwand für die MedizinerInnen, die die Verordnungen ausstellen, als auch wesentlich mehr Arbeit für die Berufsgruppen der TherapeutInnen jeder Couleur:
Wir müssen alle Verordnungen engmaschig überprüfen, zum Ändern zurück senden, überproportional viel genehmigen lassen und während des Behandlungszeitraums permanent überprüfen, dass an jedem einzelnen Datum alle Regeln eingehalten werden (keine Termine dürfen unkommentiert ausfallen, keine Termine dürfen unnötig verschoben werden, keine Termine dürfen sich häufen, kurz: Am Besten arbeiten wir gar nicht mit Patienten, dann geht in den Augen der Krankenkassen auch gar nichts schief).
Dies alles dient dazu, dass Krankenkassen mehr Verordnungen und Behandlungen wegen Formfehlern auf dem Papier ablehnen können – was bedeutet, dass wir gearbeitet haben aber nach Einreichen der Verordnung (umgangssprachlich auch „Rezept“ genannt) nichts von der Krankenkasse bezahlt bekommen.

So arbeiten wir Logopädinnen täglich nach den Behandlungen noch unbezahlt im Büro, damit alle Formalia eingehalten werden und die zusätzliche Kraft im Sekretariat gegen den immensen Verwaltungsaufwand ankommt.
Dies führt zu massiv abnehmender Motivation in der täglichen Arbeit, extrem verkürzten Pausen (wenn es keine bezahlbare und bezahlte Arbeitszeit ist, wie soll es alles im Feierabend geschafft werden?), steigender Gereiztheit angesichts der Situation und damit, langfristig, abnehmender Qualität der Behandlung.
Ich bin als Logopädin für die Arbeit mit den PatientInnen eingestellt worden und erlebe mich mehr und mehr am Schreibtisch sitzend mit administrativen Tätigkeiten, die jenseits meines Berufs liegen.

Wie meine Kollegin am Dienstag so treffend bemerkte: Sie liebt ihren Beruf, aber sie hasst die Bedingungen, unter denen wir arbeiten müssen und die sich überproportional verschärfen.
Eine Frau, die in der Sterbebegleitung tätig ist, formulierte es so: Es ist unglaublich, wie viel Arbeit sie gegenüber den Krankenkassen aufwenden muss, um für ihre Tätigkeit bezahlt zu werden.

Danke, Krankenkassen.
Das nennen wir Schikane.

 

* Bemerkung am Rande: Die im Büro der jeweiligen logopädischen Praxis tätige Person wird von dem bezahlt, was die Logopädinnen erwirtschaften und damit nicht ausbezahlt bekommen – es freuen sich die Verwaltungskauffrauen und -männer der AOK, BKK, IKK und so weiter, wie gut auch damit die Arbeitsmoral zu schwächen ist:
Mehr Verwaltungsaufwand bedeutet mehr Stunden für die Bürokraft bedeutet mehr Geld für die Bürokraft bedeutet weniger Geld, das die Logopädinnen erwirtschaften und direkt ausbezahlt bekommen oder als Fortbildungszuschuss erhalten. Perfide.

aufmerksam

Umgang der Krankenkassen mit TherapeutInnen

LogopädInnen, Physio- und ErgotherapeutInnen wird die Arbeit durch ausufernde bürokratische Maßnahmen erschwert. Statt sich voll auf eine individuelle, kompetente Behandlung der Patienten konzentrieren zu können, verbraucht die tägliche Büroarbeit immer mehr unbezahlte Arbeitszeit. Die neuen Heilmittelrichtlinien der Krankenkassen beziehen sich darauf, wie Verordnungen des Arztes an die Therapeuten auszufüllen sind. Dabei ist es inzwischen von größer Wichtigkeit, ob ein Kreuzchen fehlt oder die ärztliche Formulierung der Leitsymptomatik minimal vom Indikationsschlüssel abweicht. Wenn ja, muss die Logopädin im eigenen Interesse so lange der Rezept-Änderung hinterher sein, bis alles perfekt stimmt – und die Frage, was „korrekt“ bedeutet, ändert sich von Seiten der Kassen häufiger, als man sich an die Vorgaben gewöhnen kann.
Sollte die Therapeutin eine Kleinigkeit übersehen und die Dreistigkeit besitzen, statt des bürokratischen Wahnsinns einfach den Patienten zu behandeln, wird sie dadurch bestraft, dass die Kosten der bereits stattgefundenen Therapie-Einheiten nicht bezahlt werden.
Was bedeutet: Der Patient bezahlt die Kasse, die Kasse jedoch nicht die Therapeutin.
Darunter leidet sowohl die Qualität der Therapie (weil Logopädinnen zu bürokratischen Prinzipienreitern werden müssen, statt ihrer Kompetenzen gemäß zu agieren) als auch die Versorgung der Patienten. Ebenso ist das Verhältnis zwischen verordnenden Ärzten und Logopädinnen zunehmend angespannt, da ungültige Verordnungen vom Arzt wiederholt geändert werden müssen, bis die Krankenkasse zufrieden ist und die Logopädin ihrer Arbeit nachkommen kann.

Mehr dazu unter Frontal 21 von Minute 8 – 17, Sendung vom 22. 05. 2012