Seit Sonntag ackere ich mich durch diverse Beete der Senioren-Residenz, begleitet von wechselnden Damen und Herren.
Um trotz anhaltender coronabedingter Einschränkungen Gemeinschaft zu ermöglichen, gestalte ich den Garten mit einzelnen BewohnerInnen neu. Mein Ziel ist, dass die Anlage einen wesentlich höheren Anteil an ökologisch nützlichen Pflanzen hat, die sich auch für die SeniorInnen verwenden lassen. So säten wir nicht nur Wildblumen für Insekten, sondern legten eine Kräutergarten an und ließen essbare Blüten keimen. Beerensträucher sind ebenfalls bestellt und sollen nächste Woche ankommen, zusammen mit trockenheitsresistenten Stauden für den sonnigen Eingangsbereich.
Als ich im monatlichen „Hauskurier“ zum Mitmachen aufrief, waren die Rückmeldungen seeeehr verhalten. Im Gespräch konnte ich einige dazu verlocken, sich auf meine Liste setzen zu lassen, aber die Vorbehalte und Ängste überwogen deutlich. Nach zwei sonntäglichen Einzelbetreuungen an Terrassenkübeln trommelte ich für den Montag ein Grüppchen zusammen, die an unterschiedliche Beete verteilt wurden, um die Corona-Auflagen zu erfüllen. Mit dabei: „Mein Arm tut so weh“, „Ich kann heute gar nicht gut stehen, mein Bein schmerzt“, „Die Augen-OP schränkt mich ein und ich darf mich nicht bücken“ und als Teilnehmer Nummer vier „Ich kann nicht lange stehen, muss im Sitzen arbeiten“. Ich hörte mir artig die diversen Einschränkungen an und stellte die einzelnen Aufgaben in den verschiedenen Arealen vor. Anschließend schlug ich vor, wer wo arbeiten könnte, platzierte die Stauden, stellte allen einen Stuhl ans Beet, verteilte Schaufeln usw.
Alle warteten auf konkrete Anweisungen, während ich zwischen den einzelnen Parteien hin und her zischte. Der Herr, der nicht stehen konnte, grub bereits mit dem Spaten das gesamte Erdreich um. Die Dame, deren Arm schmerzte, packte kräftig am Blumenkübel mit an, und die Seniorin, die sich nicht bücken sollte, saß auf dem Stuhl und krebste zischen ihren Füßen im Boden herum. Obwohl alle eine ständige Betreuung erwarteten, was bei einer Leitung und vier Anwesenden für sie wie für mich viel Geduld erforderte, war die Stimmung sehr gut. Immer wieder kamen weitere SeniorInnen vorbei, hielten an, schnackten, trieben ihren Hund zwischen den Beinen aller hindurch oder setzten sich im Strandkorb dazu.
Absolut niemand erwähnte ein einziges Mal all die Gründe, warum sie zu schwach seien, um mitmachen zu können.
Alle wollten gerne weitermachen, als ich zum Aufräumen blies. Niemand fand, es sei an der Zeit, zurück ins Appartement zu gehen. Nur ich wollte gern nach Hause….
Die Dame mit dem schmerzenden Bein lief sogar in den zweiten Stock und zurück, nur um einen Handfeger zu holen, mit dem sie die Beeteinfassung aus Steinen abbürsten wollte.
Am Dienstag war sie gleich morgens wieder am Start, während ich im Hintergrund Löcher für höhere Stauden grub, holte sie mir die Pflanzen aus den Töpfen und fühlte sich allgemein nützlich.
Nachmittags schnappte ich mir eine weitere Dame, die anscheinend nicht ganz verstanden hatte, was genau die Aktivität sein sollte, und sich ständig wunderte: „Ich wusste ja nicht, dass ich alleine hier bin! Und was ich hier alles tun soll! Also darauf hatte ich mich nicht eingestellt!“ Aber sie fuhrwerkte sehr eifrig mit mir herum, erzählte Geschichten von ihrer Tochter, die beide Hosentaschen voller Regenwürmer hatte, und bestimmte ganz klar, welche Stockrose mit welcher Blütenfarbe an welchen Standort kommen sollte.
Außerdem verliebte sie sich in einen Tausendfüßer (Bild oben): „So fein! Schau mal, so fein, wie er sich schlängelt, und so kleine Beinchen…“ Er stürzte mehrfach ab und musste aus dem Gras geklaubt und zurück auf ihre Hand gesetzt werden.
Zum Schluss nahmen die Dame und ich uns ein Beet vor, das gestern nicht ganz fertig geworden war, und ich drängte einen unschuldigen Herrn dazu, der in der Nähe einsam auf der Terrasse saß, mir mit dem Spaten bei den dicken Wurzelausläufern im Boden zu helfen. Mit seinen Birkenstock-Schlappen kam er tatsächlich ins Beet und legte sich kräftig ins Zeug. Während dessen schimpfte er ununterbrochen: „Gestern waren hier sooo viele Leute, und heute biste ganz alleine, Marie. Das ist doch nicht in Ordnung! Wo sind die denn alle?“
Dabei war natürlich Zweck und Ziel der ganzen Aktion, möglichst viele SeniorInnen nacheinander einzubeziehen und aktiv werden zu lassen. Je kleiner die Gruppe, desto eher kann ich ZuschauerInnen mal schnell zum Mitmachen bewegen…
Wer sich konkrete Hinweise und Tipps für ein Gartenprojekt mit SeniorInnen wünscht, wird in der Schatzkiste Seniorenbetreuung fündig.