Im Supermarkt, der sich im gleichen Gebäudekomplex wie die logopädische Praxis befindet, steht seit kurzer Zeit eine kleines elektrisches Karussel.
Es dreht sich und blinkt, während es unablässig „Haribo macht Kinder froh, und Erwachsene ebenso“ spielt. Werbewirksam gibt es keinen Münzeinwurf (50 Cent pro Runde), nein:
Es gibt einen grünen Knopf sowie die Aufschrift „Freie Fahrt mit Haribo!“
Als Elternteil setzt man das Kind auf das Karussel, bringt nebenan schon mal schnell die Pfandflaschen weg und bedenkt die folgende Auswirkung gar nicht:
Dass das Kind ein sehr positives körperliches (Drehen), visuelles (Blinken) und akustisches (Lied) Erlebnis hat, während es unentwegt die Werbebotschaft hört.
Im Gehirn des Kindes wird ratz-fatz „Positives Gefühl“ und „Haribo“ miteinander verknüpft und bingo – die Gehirnwäsche sitzt.
Schlagwort: Logopädie
Kindermund: Gefährliche Geschenke
Szenen aus meinem Alltag als Logopädin
Wir spielen „Pixi hat Geburtstag“, ein visuelles Merkspiel, bei dem von Runde zu Runde mehr Gäste auftauchen, deren Geschenk man sich merken muss (Pixi hat Geburtstag. Der Hase kommt und bringt Blumen mit, die Maus schenkt ihm einen Kuchen, der Frosch einen Luftballon, das Eichhörchen zeigt ein Kunststück usw).
Unter anderem taucht auch ein Reiher auf, den die wenigsten Kinder kennen. So ergab sich folgendes Geschenk:
Kind: „Der Geier schenkt ihm einen Rundflug.“
Na, ob Pixi, der kleine Kobold, von diesem Geschenk wohl lebend wiederkam?!
Stottertherapie, letzte Stunde vor der Therapiepause. Das Mädchen und ich nehmen eine Radiosendung auf, dabei kommt eine russische Sängerin vor. Da die Patientin noch nicht lesen kann, malen wir alles, was in der Sendung vorkommen soll, auf ein Blatt. Als Spickzettel quasi.
Ich zeichne über der Sängerin Scheinwerfer mit buntem Licht und frage: „Kannst du erkennen, was das sein soll?“
Sie: „Klar, Bühnenscheiner.“
Ein Junge, ungefähr sieben Jahre alt, verlässt den Raum meiner Kollegin.
Während er sich die Schuhe anzieht, meint er ganz lässig (ohne Blickkontakt) zu ihr:
„Man sieht sich!“ und steht auf. Als er den Flur schon halb hinunter gegangen ist, ruft er plötzlich ganz ehrlich und ohne Pose über die Schulter: „Hat Spaß gemacht heute!“
Buchempfehlung: „Weit übers Meer“ von Dörthe Binkert
„Möchten Sie meine Meinung hören?“, fragte er schließlich.
Valentina nickte.
„Ich glaube, Sie sollten damit beginnen, darüber nachzudenken, was Sie mit Ihrem Leben anfangen möchten, ganz unabhängig davon, was andere Menschen von Ihnen wollen und was Sie glauben, ihnen schuldig zu sein.“
Er sah sie freundlich an.
„Das klingt vielleicht etwas ungewohnt, und Sie haben vermutlich eine andere Erziehung genossen. Ich bin aber der Meinung, dass jeder Mensch, egal ob Mann oder Frau, die Aufgabe hat, darüber nachzudenken und herauszufinden, was seine ganz eigenen Talente und Begabungen sind, und dass wir Menschen verpflichtet sind, uns den Träumen zu stellen, die wir tief in uns finden. Wir erfüllen unser Leben nur, wenn wir das, was wir tun, mit Liebe tun. Nur, was wir mit Liebe tun, gelingt auf die Dauer. Und wir müssen herausfinden, was das ist, was wir lieben können.“
Dr. Kirschbaum reichte Valentina ein Taschentuch. „Die Stürme im Innern sind manchmal heftiger als die Stürme hier draußen auf dem Meer,“ sagte er sachlich (…).
Das Zitat stammt aus einem wunderbaren Roman, der Anfang des letzten Jahrhunderts auf einer Überfahrt nach New York spielt und die Frage „Wie lebe ich das Leben, das ich wirklich will“ behandelt.
Fernsehsendung zum Locked-In-Syndrom
Der WDR hat im letzten Jahr eine Sendung zum Thema „Wachkoma“ und „Locked-In“ gedreht, die heute auf 3sat ausgestrahlt wurde. Dabei wurde vorrangig die Fragestellung behandelt, ob es „austherapierte“ Patienten gibt, ob alle Wachkoma-Patienten korrekt als solche diagnostiziert sind und welches Potential das Gehirn trotz dieser Diagnose hat.
Bezüglich der Frage, woran man erkennt, wie weit der Wachkoma-Patient seine Umgebung wahrnimmt und wie intakt die kognitiven Prozesse trotz des Unfalls sind, wurden eine Reihe Patienten im Uniklinikum Lüttich eine Woche lang intensiv untersucht. Da im Kernspintomographen zwar Aktivität in einzelnen Regionen des Gehirns sichtbar gemacht werden kann, nicht jedoch die Reaktionen eines vollständig gelähmten Menschen auf Anfrage beurteilt werden können, stellte einer der Ärzte folgende Aufgabe:
„Ich stelle Ihnen eine Frage. Wenn Sie ’nein‘ antworten wollen, denken Sie daran, wie Sie Sport machen. Wenn Sie ‚ja‘ antworten wollen, denken Sie an (…)“
Dadurch werden bestimmte, lokalisierbare Regionen des Gehirns stimuliert (wie in diesem Beispiel die Bewegungsplanung und das geistige Erleben einer Bewegung), wodurch die Ansprechbarkeit und das Sprachverständnis des Patienten durch rot leuchtende Aktivität im entsprechenden Hirnareal eingeschätzt werden können.
Inwieweit ein Patient „austherapiert“ ist oder sein kann, ist derzeit vorrangig eine Frage der finanziellen Mittel der Krankenkasse bzw. deren Bereitschaft, finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.
Andererseits weiß ich aus meinem Alltag, dass es mehr Spaß macht, einen Patienten zu therapieren, der aufgrund meiner Bemühungen Fortschritte zeigt, als einen Patienten zu behandeln, um den status quo zu halten. Beides erfordert Einsatz, aber nur das erste vermittelt den Eindruck, erfolgreich zu sein.
Und ich weiß, dass man als Therapeutin einen Patienten nach Jahren der Therapie „satt haben“ kann, dass einem die Ideen ausgehen, dass man trotz Dialog im Kollegenkreis auf der Stelle tritt – dies bedeutet jedoch nicht, dass für den Patienten nichts mehr getan werden kann: Es bedeutet, dass ich als Logopädin an meine Grenzen komme, weil ich tue was ich kann, aber weder Engel noch Heilige bin. Dann bietet sich ein Therapeutenwechsel an oder der Versuch eines neuen Behandlungskonzepts außerhalb der eigenen Praxis.
Nicht jedoch sollte an dieser Stelle der Patienten abgeschrieben und entlassen werden!
Die Frage nach dem Sinn der Therapie ist eine Frage nach dem ‚wie‘, nicht eine Frage nach dem ‚ob‘!
Kindermund: Eine Frage der Betonung
Szenen aus meinem Alltag als Logopädin
Ein Junge, 5 Jahre alt, bezüglich der Bildergeschichte „Kim gießt Blumen“:
„Die Blume hat Durst – sooo Durst hat die, die kriegt ein‘ Schluckauf!“
Mein Chef wedelt mit einer Akte herum, auf der ein Klebezettel mit der Aufschrift „Perfekt!“ klebt.
Er: „Marie, was heißt das hier auf deiner Akte?“
Ich: „Perfekt, warum?“
Er: „Wir haben nämlich überlegt, und ich dachte, es hieße etwas anderes…“
Ich: „Wieso, dachtest du da steht `perfekt!`? Also, dann könnte ich ja genauso gut `Marie, du bist so eine großartige Logopädin!` drauf schreiben, aber warum sollte ich das tun?“
Er: „Naja, ich dachte, vielleicht kam der Patient aus dem Urlaub zurück und hat einen großen Entwicklungsschritt gemacht und du warst begeistert…?!“
Ich: „Nee, das ist eine Erinnerung, dass ich mit dem Patienten das Perfekt übe.“
Jaja, so entstehen Gerüchte…
Kindermund: Hygienefallen lauern überall
Szenen aus dem Alltag einer Logopädin
Junge, 5 Jahre alt: „Deine Hose ist hässlich.“
Ich: „Ach. Warum denn?“
Er: „Weil man deine Füße nicht sieht.“
Ich desinfiziere mir die Hände, ein Sechsjähriger beobachtet mich dabei.
Ich: „Das stinkt ganz schön, ne?“
Er: „Jaahaa. Was ist das denn?“
Ich: „Damit mache ich mir die Hände ganz besonders gut sauber.“
Er: „Nee, das stinkt so, damit gehn die Hände nich sauber.“
Ich: „Doch, das ist extra starke Seife.“
Er: „Wie heißt’n das?“
Ich: „Hmmm… das ist ein schweres Wort… also man kann es „Stinki“ nennen.“
Er: „Nee, wie heißt das echt?“
Ich: „Des-in-fek-tions-mi-ttel.“
Ein Sechsjähriger erzählt von der Katze, die sie seit einigen Tagen haben.
Er: „Wir haben ein Katzenfutter gekauft, wo die Katzen richtig gut von werden.“
Wir spielen mit kleinen Fingerpuppen, um die Präpositionen zu üben.
Der Junge schaut in den kleinen Papagei hinein, ich frage:
„Was ist denn in dem Papagei?“ (nichts)
Kind: „Da drin ist Bakteriens.“
Kariesschutz bei Babies und Kleinkindern fängt mit der Ernährung an
Es ist erschreckend, wie viele Kleinkinder mir beruflich begegnen, die schlechte Zähne haben oder mit knapp drei Jahren komplett zahnlos sind, weil die verfaulten Stümpfe gezogen werden mussten.
Vielen Eltern scheint bis heute nicht klar zu sein, dass sie mit der Gabe von Säften, Schorlen, Limonaden und gesüßten Tees den Babies und Kleinkindern nichts Gutes tun.
Ebenso wundere ich mich täglich, wie leichtfertig Kindern Kaugummis, Bonbons, Schokoriegel und anderer Blödsinn als Belohnung bzw. Beschäftigung gegeben wird.
Dass der Karies aus den Milchzähnen die in der Entwicklung begriffenen nachfolgenden Zähne schädigt und verfaulte Milchzähne keine Lappalie sind, scheint vielen nicht bewusst zu sein. Wenn dem Kind die schwarzen Reste gezogen werden, sind sowohl die Artikulation als auch das weitere Wachstum des Kiefers betroffen.
Heute unterhielt ich mich mit einer Mutter (mit niedrigem Bildungsgrad) über das Angebot eines Trinkbechers mit Teepulver, das Ihre Tochter abends mit ins Bett bekommt. Dass das Teepulver voller Zuckerarten und Säurungsmittel steckt und das vorangegangene Zähneputzen innerhalb von Sekunden zunichte macht, war ihr nicht bewusst. Auch dass das Schnabelteil des Trinkbechers viel zu groß für den Mund des Mädchens ist und die muskuläre Unterspannung verstärkt, war ihr vollkommen neu. Letzteres ist sicher ein Punkt, den erst Fachleute ansprechen – über gesunde Ernährung jedoch sollte heute jeder Bescheid wissen, unabhängig des Bildungsgrades. Schade, dass Deutschland in dieser Hinsicht ein Entwicklungsland ist.
Was ein Baby, Kleinkind, Schulkind und Jugendlicher zu trinken bekommt, sollten Eltern bewusst zum Wohle der Gesundheit entscheiden – und genau daran hapert es: In bildungsschwachen sozialen Schichten sicher mehr als im Villenviertel, trotzdem ist es illusorisch zu glauben, Karies wäre auf der Welt ausgestorben, nur weil jeder eine Zahnbürste besitzt.
Was Heranwachsende meiner Meinung nach trinken sollen:
Stilles Mineralwasser (wenn nötig mit dem Aufdruck „Für Babynahrung“), gefiltertes Leitungswasser und, wenn das zu langweilig wird, ungesüßte frisch zubereitete Tees.
Womit gleich ein Beitrag gegen die Zunahme von Adipositas im Kinder- und Jugendalter geleistet ist.
Es spricht absolut nichts dagegen, dem Kind ein Glas Saft zu gönnen – wenn es gezielt im Sinne einer Süßigkeit und eines gelegentlich verzehrten Genussmittels angeboten wird.
Um Missverständnissen angesichts des gewählten Bildes vorzubeugen: Diese Zähne sind gesund und entsprechen einer normalen, unauffälligen Entwicklung.
Das Foto wurde aufgenommen von „vauvau“ und ist zu finden unter http://www.flickr.com/photos/vauvau/5746615916/sizes/z/in/photostream/
Kindermund: Anatomische Sonderausstattung
Szenen aus meinem Alltag als Logopädin
Wir spielen das Spiel „Können Schweine fliegen?“, wobei es darum geht, Tiere bestimmten Eigenschaften zuzuordnen (legt Eier, gibt Milch, hat einen Schwanz/Flossen/Hufe, lebt im Wasser usw.).
Der Junge, 7 Jahre alt, Muttersprache nicht deutsch, zum Merkmal „vom Aussterben bedroht“ in sehr ernsthaftem Tonfall:
„Da sind viele verstorben.“
Und zum Merkmal „hat Fell“ ebenso sehr geschäftsmäßig und klar artikuliert:
„Das Fell ist weich.“
Heute erzählte mir die Mutter eines kleinen Jungen, dass er inzwischen komplett trocken sei.
Sie: „Und die letzten drei Nächte blieb die Windel sogar die Nacht über trocken. Da habe ich ihn drauf hingewiesen und gesagt, dass die Windel ja jetzt ganz weg bleiben kann.
Er meinte dazu: Dooooch, da war was drin, aber der Pillie hat das schnell wieder ausgetrunken!!!“
Innere Größe
Groß ist, wer jedem Menschen auf Augenhöhe begegnet.
gefunden auf http://www.hamburger-volksbank.de/
Kindermund: Oma und die Verwendung der Pilze
Szenen aus meinem Alltag als Logopädin
Ich lasse mir von einem Jungen, 6 Jahre alt, Muttersprache nicht deutsch, das Buch erzählen, das ich ihm für eine Woche ausgeliehen hatte. Einer der beiden Therapieschwerpunkte momentan ist das /r/, Konsonantenverbíndungen klappen allerdings noch nicht.
Er: „Die Oma raucht Pilze.“ (Er wollte „braucht“ sagen)
Ich, kurz darauf: „Und was braucht das Baby?“
„-Babyfutter.“