Vor einigen Wochen habe ich während der ehrenamtlichen Renovierung eines Freizeitheims drei junge Flüchtlinge aus Eritrea kennengelernt. Mich beschäftigt das Flüchtlingsthema in Wellen – meist dann, wenn ich damit unmittelbar zu tun habe. Neben all den anderen fürchterlichen Geschehnissen auf dieser Welt (verhungernde Kinder, weibliche Beschneidung, Sexsklavinnen, Ehrenmorde und getötete indische Säuglingsmädchen) ist die Flüchtlingsproblematik in meinen Augen eine der größten Tragödien der Gegenwart.
Umso wichtiger ist es mir, den Flüchtlingen in meiner Umgebung zumindest für den Moment der Begegnung Respekt und Gastfreundschaft zu erweisen. So organisierte ich spontan einen afrikanischen Liederabend, in der Hoffnung, dass die drei den Mut finden, uns Lieder aus ihrer Heimat beizubringen – meine drei Lieder auf lingala, swahili und zulu waren nämlich alles an Repertoire, das ich auswendig weitergeben konnte. Leider waren die anwesenden KonfirmandInnen begeisterter als die Eritreer, aber einen Versuch war es wert… Einer der drei zeigte uns daraufhin ein sehr langes Lied über das Leben Jesu auf seinem Mobiltelefon auf tigrinya, immerhin.
Mit einem von ihnen unterhielt ich mich viel während der Arbeiten auf dem Gelände über das Leben in Deutschland. Langsam und mit minimalem Wortschatz, damit wir uns verständigen konnten. Besonders die Frage nach einem eigenen Auto beschäftigte ihn sehr… Alle drei lud ich ein, abends in der begrenzten Freizeit zwischen zwei Gebetszeiten mit mir am nahegelegenen See spazieren zu gehen – den hätten sie sonst nie entdeckt. Sie bewunderten den (noch kahlen) deutschen Wald und bedauerten jedes Opfer des letzten Sturms einzeln. Während dessen versuchte ich ihnen zu erklären, welche Beeren an welchen Büschen wachsen und wann – die klimatische Variante von vier Jahreszeiten blieb bis zum Schluss unerklärlich. Ebenso die Höhe einer durchschnittlichen Monatsmiete in Hamburg, was ebenfalls eine Frage während unserer Unterhaltung war.
Trotz der wahrscheinlich traumatischen Erlebnisse während der Flucht wirkten die drei sehr treuherzig. Sie bedankten sich für alles, schlugen tapfer jedes der fremden Lieder in dem ihnen unbekannten Liederbuch auf und verfolgten täglich aufmerksam jede der vier ihnen unverständlichen Gebetszeiten.
Die Begeisterung des Jüngsten, im Gartenteam eine elektrische Heckenschere ausprobieren und mit Ohrschützern in der Nähe des Schredders helfen zu dürfen, war unglaublich. Wenn ich verschwitzt über das Gelände stiefelte, um etwas zu trinken und an eine kurze Pause zu denken, sagte er stets: „Mude? Ich nicht mude (müde)!“ -und lud mich ein, in der Schubkarre sitzend zurück zum Mulchberg zu fahren, um dort Nachschub zu holen (Da mein Körper zu sehr schmerzte, um in einer rumpeligen Schubkarre fahren zu wollen, wurde daraus nichts…).
Zurück zu Hause habe ich noch oft an sie gedacht und enthusiastisch von ihrem Leben erzählt – einfach, weil es so unglaublich ist, was in anderen Teilen der Erde vor sich geht und (gefühlt) niemand hier in Deutschland weiß. Und genauso, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in unserer Nähe leben. Hätte mir eine Freundin von Flüchtlingen aus Weiß-der-Geier-wo und den dortigen Lebensumständen erzählt, wäre es mir wohl ebenso egal gewesen wie es meinen Freundinnen (weitestgehend) egal war. Während ich am vergangenen Sonntag mit einem jungen Mann aus Eritrea mitgefiebert habe, der beim Hamburg Marathon gegen einen Kenianer verlor, wurde mir deutlich, dass letztlich alles von der Begegnung abhängt:
Menschen weisen so lange andere Menschen ab und verweigern ihre Hilfe, bis sie mit einander ins Gespräch kommen. Und sei es mit Händen und Füßen. Auf Augenhöhe.
Hätte ich diese drei Eritreer nicht getroffen, wäre mit das Schicksal der verfolgten Christen sowie der Hunger vor Ort ebenfalls gleichgültig gewesen. Auch so konnte ich nicht viel tun – außer das Gespräch suchen, zum gemeinsamen Spiel am Abend einladen und im Nachhinein eine Mail mit Ideen zum Deutschlernen an den Herrn schicken, der ihnen ehrenamtlich deutsch beibringt.