aufmerksam

Kindermund: Ausgebüxt

Szenen aus meinem Alltag als Logopädin:

Im Seniorenheim besuche ich eine alte Dame, die ursprünglich zur „Finalpflege“ kam, die Patientenverfügung im Gepäck, und plötzlich wieder putzmunter ist.
Sie schaut mir auf das Revers und meint: „Das ja schööön.“
Ich: „Meinen Sie meine Blume hier?“
Sie: „Jaaaa…“
Daraufhin der Pfleger, der gerade mit der Zimmernachbarin beschäftigt ist: „So redet niemand, der sterben will.“

In der Woche darauf:
Ich frage sie, was sie denn heute gefrühstückt hat und ob sonst schon etwas passiert sei (garantiert nicht, außer im Bett liegen gibt es wenig, aber es könnte ja wider Erwarten sein).
Sie erzählt ein paar Sätze und endet mit blitzenden Augen:
„Und dann bin ich ausgebüxt!!!“
Bedauerlicherweise ist sie dazu motorisch nicht in der Lage, aber der Gedanke ist tatsächlich verführerisch.

aufmerksam

Kindermund: Wildschwein im Seniorenheim

Szenen aus meinem Alltag als Logopädin

Momentan mache ich jede Menge Überstunden, um sie bald zu Gunsten des Umzugs und der Renovierung wieder „abzufeiern“. Daher kommen mir zwar viele lustige Sprüche zu Ohren, aber weil ich so eifrig von einer Patientin zur nächsten unterwegs bin, merke ich mir davon nur die Wenigsten.

Meine Frau Kramer (Name wie immer geändert) aus dem Seniorenheim hat von ihrem Sohn Zeitschriften mitgebracht bekommen (Klatsch, Tratsch und Schund en masse).
Auf einer Doppelseite sind stimmungsvolle Herbstbilder mit Tieren des Waldes abgebildet: Ich frage sie, was das denn für Tiere seien und was diese Tiere im Wald so täten, um die Wortfindung anzuregen und einen leichten Einstieg in die Stunde zu gewährleisten.
Sie schaut sich die Seite an, entdeckt ein Wildschwein, schielt kurz auf die Überschrift, ohne sich Zeit zum Lesen zu nehmen und erzählt mir aus dem Stegreif etwas vom „Weihbischof“. Ach so… Immerhin stimmte der Wortanlaut 🙂

 

Weder Wildschweine noch Weihbischöfe…

aufmerksam, glaubhaft

Butterfahrt zur Logopädin

Neue Patienten bedeuten für eine Therapeutin jedes Mal einen neuen Anfang – man beschnuppert sich, sammelt Fakten, versucht ein ganzheitliches Bild aus Einzelteilen zusammen zu fügen, beginnt zu arbeiten und hofft, dass bald eine tragfähige Patienten-Therapeuten-Beziehung entsteht.
So auch bei mir als Logopädin.
Manche Kinder sind zu Beginn offen und begeisterungsfähig – ein Teil davon bleibt es (ca. 40-70%), ein Teil langweilt sich nach einigen Wochen der Therapie mehr oder weniger dezent (ca. 5-30%) und ein Teil entwickelt sich im Laufe der Zeit zu hartnäckigen Fällen (ca. 5-20%).
Manche Kinder müssen wochenlang „aufgewärmt“ werden, bis sie offen mit mir sprechen und arbeiten, was auf der psychologischen Ebene so viel Konzentration erfordert, dass logopädisch wenig passiert. Dann jedoch entdecke ich immer wieder wahre Schätze.
Andere Kinder treten am Anfang wie ein Alptraum aus Erziehungsbüchern auf,  sodass ich um meine Nerven bange (wie soll ich das aushalten?), aber nach einigen Stunden unter vier Augen und klaren Ansagen läuft es plötzlich doch.
Wieder andere verabschieden sich nach der zweiten Stunde mit Küsschen von mir.
Kurz: Wie sich die Zusammenarbeit entwickelt und welche Resultate im Therapieprozess möglich sind, zeigt die Zeit.

Momentan habe ich durch Zufall einen ganzen Schwung älterer Damen in Behandlung (natürlich jede einzeln), was derzeit noch ungewohnt ist.
Die Störungsbilder reichen von neurologischen, degenerativen Erkrankungen über einen Schlaganfall bis zu Stimmstörungen.
Die Damen sind teilweise energiegeladen und taff, teilweise antriebslos, selbstmitleidig und psychisch auffällig – die ganze Bandbreite also.
Die eine wünscht sich klare Instruktionen, viele Übungen und kein Gespräch, die andere scheut vor jeder Form von therapeutischer Intervention zurück und möchte nur reden (oder, wie meine Chefin sagt: „Saug! Saug! Wie ein Vampir. Die zieht deine Energie und Aufmerksamkeit, wo sie nur kann!“). Das erinnert denn mehr an eine Butterfahrt in die Praxis als an konsequente logopädische Übungen.
Alle sind sie deutlich älter als ich, sodass ich momentan sehr damit beschäftigt bin, gleichzeitig respektvoll aufzutreten und klare Grenzen zu ziehen. Mein Job ist die Anamnese (therapiebegleitend, nicht nur in der ersten Stunde), das Angebot von störungsspezifischen Aufgaben sowie die Erarbeitung von alltagsrelevanten Strategien, um der Patientin den Umgang mit der Krankheit zu erleichtern.
Mein Job ist nicht, von vorn bis hinten nett zu sein und für jedes beliebige Thema ein offenes Ohr zu haben, wie offensichtlich gerade ältere, alleinstehende, einsame Damen glauben.

Kurz: Die Arbeit als Logopädin bleibt immer spannend und herausfordernd – gut, wenn es Kollegen gibt, die den Rücken stärken und ähnliche Erfahrungen gemacht haben!