aufmerksam, feminin, glaubhaft

Die Wahrheit macht frei

Ich habe Weihnachten geschwänzt.
Einfach alles abgesagt, meine und seine Familie allein feiern lassen, und mich kompromisslos in die Stille zurück gezogen.
Mir war alles egal, ich wollte nur Ruhe haben.
Niemanden hören, niemanden sehen.
Nach drei Tagen fing ich wieder an zu singen.
Und nach vier Tagen kam mein Lachen zurück.
Die 15 Monate mit dem Manuskript, parallel die übliche Arbeit, ca. 150 Blogartikel, 56 Therapiematerialien, zusätzlich diverse Veröffentlichungen, haben viel Energie gekostet. Mein selbstauferlegtes Arbeitspensum hat alles von mir bekommen: Meine gute Laune, meinen Intellekt, meine Kreativität, meinen Humor, meine Liebe, meine gesamte Aufmerksamkeit. Für meinen Mann, meine Freundinnen und meine Familie blieb kaum etwas über, und mich selbst habe ich auch nur notdürftig versorgt.
Weihnachten komplett ausfallen zu lassen, war definitiv eine der besten und notwendigsten Entscheidungen des Jahres.
Genau wie der Entschluss, meinen Wert als Mensch nicht länger an meinem Output und Arbeitspensum zu bemessen.

Heute hatte ich Sonntagsdienst und damit „Tischrunde“: Im Restaurant und Wintergarten der Residenz gehe ich mittags herum, begrüße alle, halte Small Talk und kontrolliere, dass alle da sind. Wer nicht Mittag isst, wird gebeten, sich abzumelden. Wer sich nicht abmeldet und nicht zum Essen kommt, wird erst angerufen und bei fehlender Reaktion notfalls mit dem Generalschlüssel im Appartement besucht.  Dass jemand an einem ursprünglich harmlosen Schlaganfall stirbt, weil niemand zur Kontrolle kam, wollen wir schließlich vermeiden.
Die Tischrunde findet zu beiden Essenszeiten um 12:00 und um 13:00 Uhr statt und ist für uns Mitarbeiterinnen eine sehr intensive Zeit der Kontaktpflege. Natürlich brauche ich jedes Mal gutes Small-Talk-Material, besonders, wenn es ausnahmsweise nachmittags keine Veranstaltung gibt, an die ich erinnern kann. Heute lag es nahe, nach den gerade verbrachten Feiertagen zu fragen. Wenn ich das tue, muss ich natürlich auch von meinen Feiertagen erzählen, und ich wusste nicht, ob ich den Mumm hatte, von meinen ausgefallenen Weihnachten zu berichten. Nicht so die Story, bei der man gut aussieht… eher eine Mitleidsnummer.

Ich entschied mich mangels Alternativen (Lügen geht GAR NICHT), wie immer die Ehrlichkeits-Schiene zu fahren.
Und siehe da: Es hätte kein besseres Gesprächsthema geben können. Meine Tischrunden fielen doppelt so lang aus wie sonst, und ich erntete eine Menge Respekt. Alle waren fröhlich, aufgeschlossen, gesellig und sehr an meiner Story interessiert. Naja, auch ich war das erste Mal wieder fröhlich und aufgeschlossen, seit ich arbeitssüchtig geworden war. Nur Frau Limfjord glaubte mir bis zuletzt nicht, dass ich tatsächlich Weihnachten alle hängen ließ und vier Tage lang auf dem Sofa saß, um einen Roman nach dem anderen zu lesen und wieder halbwegs menschlich zu werden. Sie traute es mir einfach nicht zu, und auf mein Angebot, meinen Mann anzurufen und es bestätigen zu lassen, wollte sie nicht eingehen.

Also: Welche Wahrheit schlummert in dir, in einem fiesen schwarzen Schlammloch, macht dich klein und unsicher, und sollte dringend ans helle Tageslicht? Denn was im Hellen ist, bekommt Umrisse und wird greifbar. Und allzu oft schauen unsere Freunde dieses Gespenst an und sagen: „Ach ja, diese Gestalt wohnt auch gelegentlich in meinem Keller. Ich schätze dich trotzdem!“

 

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Lebensweisheit

♥ Das Leben ist ein Geheimnis,
das gelebt werden möchte,
nicht ein Problem,
das gelöst werden muss. ♥


Zitat (leicht verändert) aus: Adriana Trigiani  „Der beste Sommer unseres Lebens“

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Buchempfehlung: „Villa Dante“ von Elizabeth Edmondson

Vier Personen, die sich untereinander nicht kennen und alle an einem „toten Punkt“ in ihrem Leben angekommen sind, erhalten einen überraschenden Brief: Jeder von ihnen wird gebeten, sich so bald wie möglich in einer alten Villa in der Nähe von Genua einzufinden – es handele sich um eine Testamentseröffnung. Keiner der Protagonisten kennt die Frau und den Ort, von denen die Rede ist. Doch alle vier unterbrechen ihr Leben, da sie jeweils Unzufriedenheit und Unruhe verspüren und es nichts gibt, was sie in ihrem Alltag hält.
Der Roman spielt in den fünfziger Jahren und beschreibt zu Beginn die Aufbrüche der einzelnen Personen, die sich auf den Weg in die Villa Dante machen und dort innerhalb weniger Tage nacheinander eintreffen. Vor Ort stellen sie fest, dass keiner weiß, was vor sich geht und der Notar der verstorbenen Beatrice Malaspina nicht bereit ist, ihnen Informationen zukommen zu lassen. So beschnüffeln sie sich und ihre Umgebung zuerst misstrauisch, fällen erste Urteile über die anderen und beginnen so langsam, die Auszeit zu genießen – jeder auf seine Weise. Während sie sich untereinander immer besser kennenlernen, versuchen sie heraus zu finden, was das Vermächtnis der Fremden sein soll und warum sie ausgerechnet die vier dafür ausgesucht hat. Zunehmend steigt die Verunsicherung, weil Beatrice Malaspina sehr viel über jede und jeden von ihnen zu wissen scheint – insbesondere, was die Brüche und die Unzufriedenheit in ihrem Leben angeht.

Zu Beginn des Buches fiel es mir schwer, die Einzelheiten aus den Beschreibungen der Personen richtig einzuordnen und im Kopf zu behalten, während die Handlung voranschreitet. Sobald sich alle in der Villa eingefunden haben und die eigentliche Handlung beginnt, liest es sich sehr gut. Da der Spannungsbogen konsequent gehalten wird, fällt es schwer, das Buch langsam und mit Genuss zu lesen oder es aus der Hand zu legen – man möchte einfach wissen, was des Rätsels Lösung ist.
Mir hat die Auflösung der Zusammenhänge am Schluss gefallen, trotzdem fand ich einiges davon holperig oder nicht ausreichend erklärt. Davon abgesehen ist dies Buch sehr empfehlenswert, besonders dann, wenn man Zeit hat, sich hinein zu vertiefen und mehrere Kapitel am Stück zu lesen.
Ideal für ein verregnetes Wochenende!


Elizabeht Edmondson: „Villa Dante“, erschienen im rowohlt Verlag, gebunden und als Taschenbuch erhältlich.