aufmerksam, glaubhaft

Wahlkampf statt Gottesdienst – ein überraschendes Erlebnis in der Kirche

Mit dem Rad auf dem Weg zum Gottesdienst dämmerte mir, dass heute vielleicht die angekündigte Podiumsdiskussion zur Hamburger Wahl sein könnte. Obwohl das Gedränge vor dem Gottesdienst groß ist und immer viele neue Gesichter dabei sind, fielen die Herren mit Sakko deutlich auf. Auch, weil sie konsequent Siezten – beides erleben wir sonst nicht (-:
Im Vorhinein erhielten alle einen Link zu einer Online-Umfrage, um herauszufinden, welche Themen und Fragen den GottesdienstbesucherInnen wichtig sind. Ich war kurz davor, eine Mail zu schreiben, dass ich auf die AfD sehr gut verzichten kann und dass die Kirche als Gastgeber doch entscheiden könne, wem sie ein Publikum bietet und wem nicht. Gewisse Personen in diesem Haushalt fanden, man könne die AfD einfach konsequent ausbuhen. In der Kirche? Wohl nicht…

Zum Mailschreiben kam ich allerdings nicht mehr, weil im nächsten Gottesdienst Pastor Daniel alle ermahnte, „jeden Gast und Politiker freundlich willkommen zu heißen und unserer Rolle als Gastgeber gerecht zu werden. Schließlich seien alle demokratisch gewählt worden.“ Na dann.

Was ich in diesem Nicht-Gottesdienst-weil-Podiumsdiskussion gelernt habe:
– Den meisten Vertretern einer Partei kann ich ansehen, zu welcher Partei sie wahrscheinlich gehören. Wäre es nicht schön, wenn alle Parteien bunt gemischt wären und eine Zuordnung auf den ersten Blick nicht gelänge? Das würde der Vielfalt der Meinungen und damit ausgewogenen Entscheidungen gut tun, denke ich.
– Es war eine reine Sausage-Party (Würstchen-Party), also nur Männer anwesend. Ach nee. Wundert das etwa jemanden??? Trotzdem traurig. Okay, die AfD-Frau war kurzfristig verhindert und wurde ersetzt, aber alle anderen Parteien haben ja wohl auch Frauen an Bord.
– Der Hansel von meiner Lieblingspartei stellte leider das mit Abstand schwächste Glied in der Runde dar. Ein großer Verlust, schließlich waren viele ErstwählerInnen und JungwählerInnen da, und alle anderen hat er wohl auch vergrault. Sehr bedauerlich.
– Unsere ModeratorInnen meisterten ihre Aufgabe wirklich kompetent: Eine Frau und ein Mann teilten sich die Moderation, blieben immer freundlich und wertschätzend, hakten auch kritisch nach, harmonierten untereinander sehr gut. Also, gemischtgeschlechtliche Leitung einer Diskussion ist ein sehr lohnenswertes Konzept.


– Bloß nicht mit Freundinnen über Politik unterhalten! Bloß nicht! Es ist ernsthaft freundschaftsgefährdend! Das stellte ich neulich schon einmal fest, als ich aus allen Wolken fiel, als eine Freundin sagte, welche Partei sie wählt. Wie immer im Gottesdienst machte ich mit meiner Sitznachbarin (egal, wer es gerade ist) höchst qualifizierte Kommentare, nun ja, und da wurde ich dann doch bald stiller. Sicher ist sicher, da ist mir die Freundschaft wichtiger als die Politik. Vor allem, wenn wir beide eh „nur“ Wählerinnen sind und nicht politisch arbeiten.
Umso mehr freue ich mich, dass mein Mann und ich politisch auf einer Linie sind.
– Leider fand außer der Podiumsdiskussion nichts statt, das an einen Gottesdienst erinnerte, noch nicht einmal die Band trat auf. So sinnvoll es ist, sich als Gläubige aktiv für die Gesellschaft einzusetzen: Bevor vor lauter Politik die eigene Botschaft untergeht, sollte eine gesunde Mischung der Themen vorbereitet werden.
– Wären die Politiker nicht in die Kirche gekommen, hätte ich wohl auch weiterhin an keiner einzigen Wahlveranstaltung teilgenommen. Okay, der Gottesdienst ist sonst gefühlt hundertmal schneller vorbei, es zog sich ziemlich, aber gut: Dann habe ich DAS auch mal erlebt.

aufmerksam, glaubhaft

Ehrenamtlich helfen: Ideen zum Bewerbungstraining mit Flüchtlingen

 

Meinen freien Tag heute habe ich spontan für eine Runde „Marie spielt Karriere-Beraterin und Job-Center-Beamtin“ geopfert, da „mein“ Flüchtling mich anschrieb und um Hilfe zum Bewerben bat.
So von jetzt auf gleich fiel mir auch erstmal nichts ein.
Aber dann kamen mir doch einige Ideen, die ich gerne teilen möchte:

  • Viele Flüchtlinge kommen aus Regionen mit instabiler Wirtschaft. Das heißt, dass es kaum Ausbildungen und Studiengänge gibt, und diese wiederum nur einer kleinen Oberschicht offen stehen. Entsprechend haben die Flüchtlinge nie eine Woche „Berufsorientierung“ in der Schule erlebt. Und mit den tausenden von Berufsbezeichnungen in Deutschland können sie wenig anfangen. Wie sollen sie also wissen, was sie können und welche persönlichen Qualitäten sie jenseits der Sprachbarriere einbringen können?
    Ich finde es sehr sinnvoll, darüber ins Gespräch zu kommen, worin die eigenen Stärken liegen. Was sie einerseits gern machen und andererseits gut können. Und wie diese Kompetenzen an den Sprachbarrieren vorbei zielführend eingesetzt werden können.
  • Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erscheinen unregelmäßig Sendungen mit dem Titel „7 Tage“. Dafür ist jeweils einE JournalistIn eine Woche lang unterwegs, um eine neue Umgebung zu entdecken. Sie probieren einen Beruf aus, leben in einer anderen Religion, tauchen in ein unbekanntes soziales Milieu ein. Die Dokumentationen laufen eine halbe Stunde, sind interessant und unterhaltsam. Wer einigermaßen deutsch spricht, lernt auf diese Weise viel über Berufe und über die Mentalität der Menschen, die sie ausüben.
    Hier einige Beispiele: Sieben Tage bei der Feuerwehr, Sieben Tage unter Bademeistern, Sieben Tage am Filmset, Sieben Tage Pflege daheim, Sieben Tage unter Spitzenköchen.
    Jenseits von Job-Center und Leistungsdruck können sich Flüchtlinge so einen Einblick in unsere Arbeitswelt verschaffen und gleichzeitig ihr Hörverständnis trainieren.
    Hier wird eine Übersicht der Themen gezeigt.
  • Plattformen für Studenten-Jobs bieten oft Tätigkeiten an, die ungelernt geleistet werden können. Manche Unternehmen beharren aus steuerlichen Gründen auf einen Studenten-Status. Aber auch viele Zeitarbeitsfirmen suchen auf diesem Weg nach Arbeitskräften. Ich rief spontan zwei Unternehmen an, die beide offen für „meinen“ Eritreer waren und bei denen er sich morgen gleich vorstellt.
    Der Trick ist natürlich, dass sie als ersten Eindruck mein perfektes Deutsch sowie meine Empfehlung haben. Hätte er sich mit gebrochenem Deutsch am Telefon selbst gemeldet, wäre es wahrscheinlich nicht so schnell zur Einladung gekommen…
    Für den Hamburger Raum empfehle ich das „Stellenwerk“ für ungelernte Jobs und Praktika aller Art.
  • Wer kennt wen, die oder der im gewünschten Arbeitsbereich Erfahrungen hat?
    Wenn Flüchtlingen sich mit ihren geringen Sprachkenntnissen und ihrer dunklen Hautfarbe bewerben, macht sich kaum jemand die Mühe, einen Blick zu riskieren oder sogar ein Vorstellungsgespräch einzuleiten. Hat keine Berufserfahrung, ist nicht deutsch, sieht fremd aus, brauchen wir hier nicht. Fertig.
    Wenn ich aber eine KFZ-Mechanikerin, einen Krankenpfleger oder einen Fliesenleger kenne, denen ich „meinen“ Flüchtling persönlich empfehle, sieht die Lage schon ganz anders aus. Wenn ich die Person empfehle und betone, dass ich sie als freundlich, zuverlässig und interessiert erlebe, ist dieser Vertrauensvorschuss Gold wert. Also, wer kennt wen, und sei es über drei Ecken?

 

aufmerksam, feminin

Zur heutigen Bundespräsidentenwahl: Über Deutschlands First Ladies

Nachdem es heute im Fernsehen ständig um die Wahl des neuen Bundespräsidenten ging, möchte ich den Blick auf die deutschen First Ladies richten. Bei Phoenix ist eine zweiteilige Dokumentation über die Frauen an der Seite der Bundespräsidenten zu sehen. Wer die Sendetermine verpasst, kann sich die Reportage auch (in deutlich schlechterer Qualität) bei Youtube anschauen.
Viele relevante soziale Angebote wie das Müttergenesungswerk, Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, Aufklärung und medizinische Hilfe für Krebskranke, Tagesstätten für SeniorInnen usw. gehen auf die Initiative der First Ladies zurück.
Wir halten diese Errungenschaften heute für völlig selbstverständlich. Dabei haben wir den Damen im Hintergrund, die ihre intensive Arbeit bis heute ehrenamtlich tun, viel zu verdanken.

 

aufmerksam, feminin

Kinderreich ohne eigenen Nachwuchs

Mir ist bisher nie gelungen, anderen Menschen zu erklären, dass ich Kinder von ganzem Herzen liebe und dennoch keine eigenen haben möchte. Wer derart sozial kompetent, fröhlich und geduldig ist wie ich, muss doch einfach Kinder bekommen, höre ich hartnäckig.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Emotion“ erschien ein sehr guter Artikel, der genau das beschreibt:
„Denn Frauen, die keine Kinder wollen, gelten als egoistisch. Frauen, die keine bekommen können, tun uns leid. So oder so, ihnen fehlt angeblich etwas – als sei jede Frau dazu bestimmt, Mutter zu sein.
Elizabeth Gilbert, 46, wehrt sich gegen dieses Vorurteil, auf Oprah Winfreys TV-Couch erklärt sie: „Es gibt Frauen, die sind dafür gemacht, eine Mutter zu sein, es gibt Frauen, die sollten Tanten sein, und es gibt Frauen, die sollten nicht näher als drei Meter an ein Kind herangelassen werden.“ Die beiden waren sich einig, dass sie zum Tanten-Team gehören. „Gib mir ein Kind, und es wird geknuddelt,“ sagt Gilbert. „Ich liebe es, Kinder aufwachsen zu sehen und für sie da zu sein, ich hatte nur nie das Bedürfnis, ein eigenes zu haben.“ (…)

Kinderlose Frauen leisten einen besonderen Beitrag zu Gesellschaft, ob sie gestressten Eltern das Kind abnehmen oder im Büro einspringen, wenn ein Anruf aus der Kita kommt. Sie sind wie „Eltern“ für Eltern, ein Back-up in Momenten der Überforderung. Wenn wir auf sie als Sonderfälle schauen, denen etwas fehlt oder die der Gesellschaft weniger geben, liegen wir völlig falsch. (…) Wenn es ein Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, gibt es eben viele Rollen zu besetzen. (…)
„Es kann sich ja nicht jeder nur um seine Kinder kümmern“, sagt Sabine Beer. „Manche sollten sich mit all ihrer Energie um die Welt kümmern, in der unsere Kinder dann leben.“

 

Stiefmütterchen

Auch Stiefmütter(chen) können wertvoll sein…

aufmerksam

Zutiefst erschrocken

Heute habe ich mich zutiefst erschrocken, weil ich im Flüchtlingsheim in eine schwierige Situation geriet:
Nach dem Kinderprogramm suchte ich zusammen mit einer anderen Ehrenamtlichen draußen, bei Dunkelheit und Regen, nach einem Kettcar, dass sich die Kinder ausgeliehen und nicht zurück gebracht hatten. Ich bat einige der Jungs um ihre Hilfe, ob sie wüssten, wer damit gefahren sei oder wo es stehen könne. Im Gegensatz zu sonst waren die Jungs sehr einsilbig und schnell wieder weg, sodass ich die Mädchen fragte. Mir war natürlich klar, dass die Mädchen mit mir zusammen gebastelt hatten und entsprechend genauso wenig wie ich wussten, wer wann wo mit dem Kettcar gefahren war. Aber Kinder haben ihre Quellen, und Helferinnen zu haben ist immer gut. Das Mädchen mit den besten Deutschkenntnissen meinte, sie zeige mir, bei welcher Familie ich klopfen solle. Es klang so, als habe sie den Verdacht, dass jemand das Kettcar zu sich genommen habe. So stand ich mit einem Haufen Mädchen im Grundschulalter im Flur des Wohncontainers, während sie an die Tür schlug. Als die Tür geöffnet wurde, standen vor mir weitere Mädchen, mit denen ich gebastelt hatte – ganz sicher hatten sie nirgendwo ein Kettcar versteckt. So musste ich schnell mein Anliegen umformulieren und bat sie ebenfalls um Hilfe, was angesichts der streng schauenden, tendenziell rachsüchtigen Mädchen um mich herum schwierig zu vermitteln war…. Der Vater erschien und bat mich, auf englisch zu erklären, worum es ginge. Das tat ich eifrig, während mir klar war, dass er mir nicht helfen könne und es nur darum ging, sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn Deutsche aus heiterem Himmel im Wohncontainer stehen und an Türen pochen,  wirkt das sehr schnell bedrohlich für die BewohnerInnen. Während ich noch versuchte, dem Vater klar zu machen, dass für ihn und seine Familie alles in Ordnung sei und ich lediglich ein blödes Kettcar suchte, erschien am hinteren Ende des Gangs eine tränenüberströmte Frau.
Schnell wurde deutlich, dass ein Mädchen vermisst wurde. Sobald ich wusste, dass es sich um Narine (Name geändert) handelte, wurde mir ganz flau und ich ließ den Vater stehen. Ich kenne Narine erst seit wenigen Wochen, aber seit sie mir neulich durch die Tür entgegen flog und um den Hals sprang, ist sie eins meiner „Herzenskinder“.
Nun verstand ich auch, warum ich draußen auf den Vater und den Bruder getroffen war, die mich mit wütendem „Nix Narine“ angefaucht hatten, während ich rufend das Kettcar gesucht hatte. In dem Moment hatte ich geantwortet, dass mir klar sei, dass Narine heute gar nicht im Kinderclub gewesen sei, aber dass die Botschaft „Wir vermissen Narine“ heißen sollte, verstand ich erst jetzt. Leider sprach die Mutter nur kurdisch, sodass ich kaum etwas heraus finden konnte. Offenbar war Narine, als ihr Vater sie zusammen mit dem Bruder von der Schule abholen wollte, nicht dort gewesen und bis zum jetzigen Zeitpunkt am Abend nicht heimgekehrt. Natürlich bot ich an, die Polizei anzurufen, auch wenn mir klar war, dass ich kaum Sinnvolles beisteuern konnte. Weder kannte ich den Namen der Schule noch die Uhrzeit des Schulschlusses. Es gab keine Klassenliste, keine Telefonnummer von Freundinnen oder LehrerInnen. Ich hatte nichts in der Hand außer meiner Fähigkeit, deutsch zu sprechen. Die Mutter weinte anhaltend, schüttelte beim Wort „Polizei“ den Kopf und zog mich in ihr Zimmer. Dort redete sie gestikulierend auf kurdisch auf mich ein, was mir trotz der Gesten nichts half. Auch das einzig verständliche Wort „Bahnhof“ brachte mich nicht weiter: Hätte sie dort sein sollen oder gerade nicht? War „Bahnhof“ eine Hoffnung oder eine Befürchtung?
Ich konnte der Mutter so nicht helfen und ging zurück auf den Flur. Dort bat ich eine andere Mutter, die ebenfalls die Polizei rufen wollte, um ihr Telefon. Ich diktierte ihr 110 zu wählen, während ich überlegte, was ich der Polizei überhaupt sagen könnte. Im Verlauf der Aufnahme der Daten seitens des Beamten merkte ich, wie laut es im Flur war, und trat nach draußen. Gerade, als ich den Vornamen NARINE angegeben hatte, antwortete der Polizist mit einem Wort, das ich unmöglich verstehen konnte. Während er es wiederholte, fragte ich mich krampfhaft, ob es irgendein polizeiinternes Fachwort sein könnte, und meinte, ich wisse leider nicht, was er damit meine. Ob die Familie so hieße, antwortete er. Ich trat zurück auf den Gang und wiederholte den Namen, so gut es ging. Nach zwei Versuchen war klar, dass der Nachname passte. Der Polizist gab an, dass das Mädchen in Hamburg-Volksdorf auf der Wache sitze und er mich durchstellen würde. Auf keinen Fall solle ich auflegen! Etwas später sprach ich mit einem Beamten in Hamburg-Poppenbüttel, der sagte, Narine sei bei ihnen gelandet, sie werde umgehend in die Flüchtlingsunterkunft gefahren. Eben habe bereits eine andere Frau angerufen und das gleiche Kind gesucht. Ich war kurz davor, ähnlich der Mutter in Tränen auszubrechen, bedankte mich mehrfach und versuchte den anwesenden Mädchen und Müttern klarzumachen, dass Narine in Sicherheit und unterwegs hierher sei. An dieser Stelle wäre ich vor Erleichterung fast zusammengeklappt.
Inzwischen war der Bruder aufgetaucht, dem ich die Lage erklärte, der sie an die Mutter weitergab. Da auch er erst wenig deutsch spricht, wusste ich nicht, wie viel bei ihm und bei der Mutter angekommen war. Sie lächelte unter Tränen, und plötzlich stand eine Frau aus der Unterkunftsleitung mitsamt dem Vater und einem weiteren Mann im Flur und erklärte, Narine sei bei der Polizei und komme bald. „So weit sind wir auch gerade,“ meinte ich und verabschiedete mich kurz darauf.
Währenddessen war die zweite Ehrenamtliche rufend durch den Regen gelaufen, weil sich zwar das Kettcar wieder angefunden hatte, aber ich verschwunden war. Ich erklärte die Situation, entschuldigte mich und schloss die Räume ab.

Zu Hause angekommen musste mich mein Mann erstmal umarmen und festhalten, während ich ihm erklärte, mir sei ein weiterer Grund eingefallen, weshalb wir unmöglich Kinder bekommen könnten: Wenn mich ein Flüchtlingsmädchen und ihr Verschwinden derart mitnehmen, was täte ich dann mit vermissten eigenen Kindern? Erst eine Stunde später ließ das Rumoren meiner Eingeweide nach. In meinen Augen sind Flüchtlingsmädchen ohne Sprachkenntnisse und ohne Orientierung in der Umgebung das perfekte Fressen für Pädophile und ich brauchte eine Weile, bis ich mich beruhigt hatte.
Immerhin wurde mir im Nachhinein bewusst, dass ich aufgrund des vermissten Kettcars die Mutter entdecken und ihr „von Frau zu Frau“ helfen konnte. Dank der Unterkunftsleitung wäre das Mädchen auch ohne mich wieder aufgetaucht. So aber hatte die Mutter spontan Hilfe einer Fremden erfahren, was vielleicht genau die Botschaft war, die Gott ihr heute schicken wollte: Du bist wertvoll und ich sorge für dich und deine Kinder.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERA

aufmerksam, glaubhaft

Wofür das Herz schlägt

Vor einigen Wochen habe ich während der ehrenamtlichen Renovierung eines Freizeitheims drei junge Flüchtlinge aus Eritrea kennengelernt. Mich beschäftigt das Flüchtlingsthema in Wellen – meist dann, wenn ich damit unmittelbar zu tun habe. Neben all den anderen fürchterlichen Geschehnissen auf dieser Welt (verhungernde Kinder, weibliche Beschneidung, Sexsklavinnen, Ehrenmorde und getötete indische Säuglingsmädchen) ist die Flüchtlingsproblematik in meinen Augen eine der größten Tragödien der Gegenwart.
Umso wichtiger ist es mir, den Flüchtlingen in meiner Umgebung zumindest für den Moment der Begegnung Respekt und Gastfreundschaft zu erweisen. So organisierte ich spontan einen afrikanischen Liederabend, in der Hoffnung, dass die drei den Mut finden, uns Lieder aus ihrer Heimat beizubringen – meine drei Lieder auf lingala, swahili und zulu waren nämlich alles an Repertoire, das ich auswendig weitergeben konnte. Leider waren die anwesenden KonfirmandInnen begeisterter als die Eritreer, aber einen Versuch war es wert… Einer der drei zeigte uns daraufhin ein sehr langes Lied über das Leben Jesu auf seinem Mobiltelefon auf tigrinya, immerhin.
Mit einem von ihnen unterhielt ich mich viel während der Arbeiten auf dem Gelände über das Leben in Deutschland. Langsam und mit minimalem Wortschatz, damit wir uns verständigen konnten. Besonders die Frage nach einem eigenen Auto beschäftigte ihn sehr… Alle drei lud ich ein, abends in der begrenzten Freizeit zwischen zwei Gebetszeiten mit mir am nahegelegenen See spazieren zu gehen – den hätten sie sonst nie entdeckt. Sie bewunderten den (noch kahlen) deutschen Wald und bedauerten jedes Opfer des letzten Sturms einzeln. Während dessen versuchte ich ihnen zu erklären, welche Beeren an welchen Büschen wachsen und wann – die klimatische Variante von vier Jahreszeiten blieb bis zum Schluss unerklärlich. Ebenso die Höhe einer durchschnittlichen Monatsmiete in Hamburg, was ebenfalls eine Frage während unserer Unterhaltung war.
Trotz der wahrscheinlich traumatischen Erlebnisse während der Flucht wirkten die drei sehr treuherzig. Sie bedankten sich für alles, schlugen tapfer jedes der fremden Lieder in dem ihnen unbekannten Liederbuch auf und verfolgten täglich aufmerksam jede der vier ihnen unverständlichen Gebetszeiten.
Die Begeisterung des Jüngsten, im Gartenteam eine elektrische Heckenschere ausprobieren und mit Ohrschützern in der Nähe des Schredders helfen zu dürfen, war unglaublich. Wenn ich verschwitzt über das Gelände stiefelte, um etwas zu trinken und an eine kurze Pause zu denken, sagte er stets: „Mude? Ich nicht mude (müde)!“ -und lud mich ein, in der Schubkarre sitzend zurück zum Mulchberg zu fahren, um dort Nachschub zu holen (Da mein Körper zu sehr schmerzte, um in einer rumpeligen Schubkarre fahren zu wollen, wurde daraus nichts…).

Zurück zu Hause habe ich noch oft an sie gedacht und enthusiastisch von ihrem Leben erzählt – einfach, weil es so unglaublich ist, was in anderen Teilen der Erde vor sich geht und (gefühlt) niemand hier in Deutschland weiß. Und genauso, unter welchen Bedingungen Flüchtlinge in unserer Nähe leben. Hätte mir eine Freundin von Flüchtlingen aus Weiß-der-Geier-wo und den dortigen Lebensumständen erzählt, wäre es mir wohl ebenso egal gewesen wie es meinen Freundinnen (weitestgehend) egal war. Während ich am vergangenen Sonntag mit einem jungen Mann aus Eritrea mitgefiebert habe, der beim Hamburg Marathon gegen einen Kenianer verlor, wurde mir deutlich, dass letztlich alles von der Begegnung abhängt:
Menschen weisen so lange andere Menschen ab und verweigern ihre Hilfe, bis sie mit einander ins Gespräch kommen. Und sei es mit Händen und Füßen. Auf Augenhöhe.
Hätte ich diese drei Eritreer nicht getroffen, wäre mit das Schicksal der verfolgten Christen sowie der Hunger vor Ort ebenfalls gleichgültig gewesen. Auch so konnte ich nicht viel tun – außer das Gespräch suchen, zum gemeinsamen Spiel am Abend einladen und im Nachhinein eine Mail mit Ideen zum Deutschlernen an den Herrn schicken, der ihnen ehrenamtlich deutsch beibringt.

aufmerksam, glaubhaft

Weisheit teilen

Erneuere auch unser Herz
und gib uns den Geist
der Klarheit und des Muts
denn das Gesetz des Geistes
der uns lebendig macht in Christus
hat uns befreit
von dem Gesetz der Resignation

Lehre uns die Kraft
der kleinen Leute zu spüren
und keine Angst mehr zu haben
wenn wir widersprechen

Erneuere auch unser Herz
und lass uns wieder miteinander reden
lehre uns zu teilen statt zu resignieren:
das Wasser und die Luft,
die Energie und die Vorräte
zeig uns, dass die Erde dir gehört
und darum schön ist

Dorothee Sölle

 

P1080636

aufmerksam, feminin, glaubhaft

Klartext

 

„Ich bin stark, ich bin ehrgeizig,
und ich weiß genau, was ich will.
Wenn das bedeutet, dass ich eine Zicke bin,
dann soll mir das recht sein.“

 

Warum haben Frauen so viel Angst davor, sich Sympathien zu verscherzen?
Als ob man sein Leben verwirklicht, wenn man auf alle Rücksicht nimmt – beziehungsweise auf das Rücksicht nimmt, wovon man glaubt, dass die anderen es wollen und denken.

Warum sprechen Frauen bei erfolgreichen Leistungen nicht von „erfolgreichen Leistungen“, sondern von „Glück, Zufall und tollen Kollegen?“
Frauen haben allen Grund, ihre Leistungen als solche zu präsentieren und nicht ständig mit
„Das tu ich doch gerne, gar kein Problem, schon erledigt, ging ganz schnell“ unliebsame Aufgaben anzunehmen und anschließend tiefzustapeln. Am Schlimmsten noch unbezahlt – würden Männer nie tun.

Ältere Artikel zu der Thematik:
Hier, dort und dort.