Und dann muss man ja auch noch Zeit haben,
einfach dazusitzen
und vor sich hin zu schauen.
Alles war so schön,
dass man es einfach nicht ertragen konnte,
es allein anzusehen.
Astrid Lindgren
Inzwischen ist es etwas her, dass ich das Buch „Von einer, die raus zog“ von Hilal Sezgin las – trotzdem habe ich es in bleibender Erinnerung behalten.
Die Autorin ist Journalistin und hat ihr bisheriges Leben vorrangig in der Großstadt verbracht. Trotzdem trägt sie den Traum eines „anderen Lebens“ in sich und beschließt, sich auf das Wagnis einzulassen – sie berichtet vom Wechsel in eine andere Redaktion, von der Suche nach dem richtigen Haus, von den Wünschen und leisen Zweifeln, die sich im Blick auf den zukünftigen Alltag einstellen.
In der Lüneburger Heide, weit weg von der Frankfurter Innenstadt, wird sie fündig. Die Besitzer des Hauses wohnen auf dem gleichen Grundstück, das weitläufig genug ist, um sich sowohl zu treffen als auch aus dem Weg gehen zu können. Langsam lebt die Autorin sich ein. Berichtet von der nächtlichen Stille, von ersten Kontakten, von der Hilfsbereitschaft der Dorfbewohner und den Marotten der Schafe, Ziegen und Gänse, die sie mit ihrem neuen Haus „geerbt“ hat. Anfangs kümmert sie sich laut Anweisung um die Tiere. Zunehmend verliert sie ihr Herz an jedes einzelne und entdeckt Individuen, wie sie innerhalb einer Schafsherde nicht unterschiedlicher sein könnten. Noch ehe sie es selbst begreift, füttert sie verlassene Lämmchen mehrmals pro Nacht mit der Flasche und rettet Hühner aus der jährlichen „Säuberungsaktion“ der nahegelegnenen Massentierhaltung vor dem endgültigen Tod. Besagte gerettete Hühner, völlig nackt und deformiert, verschlingen Unsummen an Tierarztkosten. Überhaupt, die Tierarztkosten – ich habe nicht mitgezählt, wie oft die Autorin Sonntags zum tierärztlichen Notdienst eilt, weil eines der Tiere versorgt werden muss. Im Laufe des Buches fragte ich mich immer öfter, wann genau Frau Sezgin eigentlich Zeit zum Arbeiten als Journalistin hat und woher das Geld für den Tierarzt kommt.
Auch vor der ehrlichen Beschreibung von Krisen scheut Frau Sezgin nicht zurück, sondern erzählt ruhig und aufrichtig aus ihrem Leben.
Zunehmend macht die Autorin, die vorher bereits Vegetarierin war, sich Gedanken darüber, dass auch die Erzeugung von Milch mit viel Leid für Kuh und Kalb einher geht. Und dass „biologisch erzeugte Milch, Eier und Fleisch“ der Massentierhaltung sehr ähnlich sind, wie sie während ihrer unangekündigten Besuche auf mehreren Höfen feststellen muss.
Inwieweit muss man „Nutztiere“ durch Verwertung wirtschaftlich verarbeiten? Können Hühner, Schweine und Kühe auch „einfach so leben“ oder erhalten sie ihr Lebensrecht erst dadurch, dass wir Menschen größtmöglichen Profit aus ihnen schlagen?
Das absolute Ende des Verzehrs von tierischen Erzeugnissen wird durch das Eintreffen eines Katalogs von „Spezialmaterial für den Landwirt“ eingeläutet, wo sie eine Vielzahl tierquälerischer Konstruktionen und Werkzeuge entdeckt, die auch in der biologischen Landwirschaft eingesetzt werden („Mit dieser elektrischen Brennschere können Sie sowohl Hoden als auch Ringelschwänzchen abtrennen….“).
Eine sehr herzliche Empfehlung zur Lektüre!