aufmerksam

Bericht aus meinem Arbeitsalltag: Ein Adventssonntag in der Senioren-Residenz

Sonntagsdienst in der Senioren-Residenz:
Reihum ist eine Kollegin aus dem Team sonntags an der Reihe, während des Mittagessens in Restaurant und Wintergarten den Überblick zu behalten, ob alle anwesend und wohlauf sind, und für sämtliche Belange ansprechbar zu sein.
Für alle, die daran interessiert sind, wie das Leben am Nikolaustag in einer Hamburger Residenz aussieht, notiere ich exemplarisch einige Begegnungen vom zweiten Advent. Alle Namen sind selbstverständlich geändert.

Frau Tangstedt sieht mich vor dem Büro, winkt, kehrt um und steht wenig später vor mir: Sie überreicht mir eine Karte, auf der sie mir eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit wünscht und sich mit einem kleinen Geschenk für meinen spontanen Putzeinsatz am 11.06. bedankt (sie war gerade eingezogen und die Handwerker hatten ihr gesamtes neues Appartement in eine Staubdecke gehüllt).
Ich betrete den Wintergarten und gehe von Tisch zu Tisch, um mich mit allen zu unterhalten. Dabei kontrolliere ich, ob überall festliche Tischdecken in weinrot liegen, die Kerzen brennen und jede*r einen Nikolaus am Platz stehen hat.
Herr Appelbeck fragt mit einem Blick auf mein Langarmshirt: „Ist hier der Sommer ausgebrochen?“
Ich erkläre ihm, dass ich gerade erst mit dem Rad ankam und mir daher gut warm ist. Darauf er: „Ach, da gibt’s doch auch eine, die saust hier immer mit dem Roller rum. Durch den Flur,“ er überlegt kurz, dann triumphierend: „Ja, das ist die Hebamme!“
Sein Sitznachbar Herr Kolaski bricht in dröhnendes Gelächter aus, bis sein Bauch wackelt. Ich lache mit und sage zu Herrn Appelbeck: „Nee, Bedarf an Hebammen haben wir hier eher nicht, das ist Frau Dredelsen vom ambulanten Dienst.“ Herr Kolaski keucht: „Die Heeebamme…“ und hält seinen Bauch. Ich: „Herr Kolaski, bei Ihnen könnte es aber bald soweit sein, wenn ich Ihren Bauch anschaue…“ Er: „Ein Mann ohne Bauch ist wie ein… wie ein… da gab es so einen Spruch… wie ein Buckliger.“ Ich kann die Logik nicht ganz nachvollziehen und gehe weiter zum nächsten Tisch.
Dort werde ich gefragt, wo meine Mütze sei. Meine Mütze? Die ist nun nicht so schön, dass ich damit dringend drinnen herum laufen möchte. Erst langsam geht mir auf, dass gewünscht wird, ich möge eine Nikolausmütze tragen.

Inzwischen bin ich im Restaurant, wo Frau Lavrenz mit klapperndem Gebiss ihr Eis zum Dessert in Angriff nimmt. Sie bietet mir an, einen Bissen von ihrem Eis zu probieren, und leckt ihren Löffel gründlich ab, um ihn mir zuliebe noch einmal in der Serviette zu reiben, bevor sie mir den Nachtisch aufdrängt. Ich lehne mit Fingerzeig auf meine Maske dankend ab.
Herr Holthusen sitzt heute alleine, ich frage ihn, wo sein Sitznachbar steckt. Er: „Ach Mariiiie, der is unterwegs, setz dich doch ’ne Weile.“ Ich tue ihm den Gefallen, wir schnacken kurz, bevor ich weiter muss.
Am Tisch von Frau Schmitt und Frau Schmidt wird mir ein Gläschen Rotwein aus einer privaten Buddel angeboten: „Der Portugiese steht schon so lange bei mir, deswegen brechen wir den heute mal an. Ist ein sehr guter, wirklich, Frau Krüerke! Dürfen Sie nicht mittrinken?“ Nein, danke.
An verschiedenen Tischen wird meine Andacht gelobt, die als kleines kopiertes Heft an der Rezeption abgeholt und allein im Appartement durchgeführt werden kann. Außerdem nehme ich Bestellungen auf für diejenigen, die keine mehr abbekamen. Leider dürfen wir ja aktuell keinerlei Gruppen anbieten, daher versuche ich, möglichst viel in dicken braunen Umschlägen zu den SeniorInnen zu schmuggeln.
Wieder werde ich am nächsten Tisch gefragt, wo ich denn meine Mütze gelassen hätte?
Herr Nachtigall schaut mich finster an (sonst zieht er mich gern mit Blicken aus): „Ich möchte mich beschweren!“
„Aha?“ „Jaaaa, ich habe meine Schuhe vor das Appartement gestellt und heute morgen war nichts drin! Das war schon letztes Jahr so!“ Ich gebe zurück: „Und daraus ziehen Sie keine Konsequenzen? Vielleicht mangelt es ja an Artigkeit?!“
Auf dem Weg zum Ausgang des Restaurants kommen mir zwei alte Freundinnen eng untergehakt in einer hitzigen Diskussion entgegen. Die demenziell veränderte Hälfte des Gespanns ruft erklärend: „Wir streiten uns nicht, wir schlagen uns nur!“ Na denn.

An der Rezeption melde ich die Vermissten und Abwesenden, damit im Appartement eine Lebendkontrolle durchgeführt wird. Rezeptionist Udo zeigt mir den riesigen Karton, der angeliefert wurde (an einem Sonntag?): „Hier, die Lieferung von der Bundesregierung, soll sofort in der Verwaltung gemeldet werden!“
„Ja und, was soll da drin sein? Zahlen sie uns den Corona-Pflege-Bonus jetzt in Naturalien aus? Toastbrot und Eier für alle?!“
Er meint, es könnten ja auch lauter Scheine drin stecken.
Vor der Tür zum Büro finde ich einen meiner braunen Umschläge, die ich gefüllt mit Anleitungen und Bastelmaterial an alle Damen verteilt habe, die zum ausgefallenen Adventsbasteln nicht kommen durften. Unter meiner Aufschrift steht: „Ich kann das nicht, Mit Dank zurück.“
Ich besuche eine Dame im Appartement, der es nicht gut geht, was sie umgehend nutzt, um mir sehr explizit ihre Ausscheidungsvorgänge bzw. deren Fehlen zu schildern. Danke.
Weiter laufe ich zu Frau Nimmberg, die gestern Abend aus Süddeutschland kam, um ins Gästeappartement einzuziehen. Sie wünscht sich, dass ich ihren Koffer auspacke. Damit solle ich aber besser nicht jetzt anfangen, weil sie ja nicht wisse, wann ihr (aus Gründen der Quarantäne) das Mittagessen in die Wohnung gebracht würde. Und es ginge nun gar nicht, dass ich schon mal mit dem ersten der vier Koffer anfange, wenn noch nicht das Essen da sei. Oder wenn es da sei. Oder wenn es fehle. Oder wenn es jederzeit kommen könne. Ich verspreche ihr, später wieder rein zu schauen.Nun folgen um 12:00 und um 13:00 Uhr zwei weitere Runden zur Mittagszeit in Restaurant und Wintergarten, bis um 13:40 Uhr Herr Krause auftaucht, um dringend etwas zu essen. Ich bin sehr irritiert, da er aufgrund der fortschreitenden Demenz gar nicht mehr im Restaurant isst. Ein Anruf beim ambulanten Dienst ergibt, dass er sein Mittag in der Wohnung serviert bekam. Er weint und fleht mich an, ihn nicht abzuweisen, und legt bittend die Hände zusammen, die er mir ins Gesicht hält. Ich versuche, ihn zum Mitkommen zu bewegen, um ihn ins Appartement zu begleiten. Mehrfach stolpert er unterwegs. Dort angekommen bettelt er nach Essen und reißt ständig die Balkontür auf, um mit einem Sprung seinem Leben ein Ende zu setzen.
Sehr, sehr lange versuche ich, ihn zu beruhigen, bitte Kolleginnen um Hilfe und muss irgendwann völlig hilflos und erschöpft zugeben, dass ich nicht mehr tun kann.
Im Büro warten diverse Nikoläuse auf mich, die an besonders fitte BewohnerInnen verteilt werden sollen, die grundsätzlich selbst kochen und daher über Restaurant und Wintergarten nicht erreicht werden.
Auch Frau Nimmberg besuche ich mit anderthalb Stunden Verspätung, jetzt gibt es einen anderen Grund, weshalb ich dringend die Koffer auspacken soll, aber ihrer Meinung nach leider doch nicht jetzt.
Im Flur treffe ich Frau Johannsen, die mir von den Problemen mit den „LSD-Lichtern auf dem Balkon“ erzählt: „Die flackern und blinken, als wär hier Las Vegas. Das geht doch nicht, da bekomme ich von den anderen doch Ärger! Ich hoffe, dass mein Enkel nachher kommt, damit er die Schaltung von den LSD-Lichtern in Ordnung bringt.“
Ja, mich machen die LSD-Lichter auch ganz schummerig im Kopf… (-;
Ein paar Anrufe und Dramen später fahre ich heftig unterzuckert nach Hause, weil ich keinen Moment Zeit hatte, mehr als einen Müsliriegel eilig im Rennen zu verschlingen und drei Schlucke Wasser zu trinken. Mein Mittagessen ist völlig umsonst zur Arbeit und zurück gefahren.
Fröhlichen Nikolaus!

aufmerksam, glaubhaft

Andacht feiern mit Senioren: Lektionen, die ich heute lernte

Seit Corona finden in der Residenz keine Andachten mehr statt (genauere Angaben zu den internen Hygiene- und Alltagsregeln werde ich hier nicht treffen). Viele SeniorInnen sind weiterhin selbstständig in der Stadt unterwegs, manche besuchen auch Gottesdienste. Obwohl die meisten körperlich fit sind, bleiben sie angesichts der Lage lieber im Appartement und schauen den Gottesdienst im Fernsehen an.
Entsprechend groß ist die Freude, dass ich jetzt eine Andacht pro Monat anbiete – in zwei Durchgängen im kleinen Kreis können nur wenige teilnehmen, aber besser als nichts.
Der Gottesdienst neulich war ein echtes Highlight, über das ich hier geschrieben habe.
Heute möchte ich die Lektionen teilen, die ich in unserem Erntedank-Gottesdienst lernte. Vielleicht helfen sie anderen, die auf eigene Faust Andachten durchführen?

Der ideale Anfang: Ein spontanes Gebet, das mir direkt aus dem Herzen kommt
Die Andachten gestalte ich relativ liturgisch, das heißt durchstrukturiert mit Liedern, Gebeten, Austausch, Abendmahl usw. In meiner Gemeinde feiern wir sehr modern und frei Gottesdienst, aber den Senioren zuliebe führe ich zielgerichtet durch ein klar erkennbares Programm.
Weil es eben nicht ein völlig blutleerer Ablauf scheinbar religiöser Rituale sein soll, sondern ein Raum, um Gott zu begegnen, starte ich mit einem spontanen Gebet.
Kein Text, kein schwülstiges Gelaber, kein Kirchendeutsch, sondern einfach „Marie-völlig-unzensiert-wie-sie-mit-Gott-redet“. Dabei stehe ich vorn, schließe die Augen (um mich voll auf Gott zu konzentrieren) und halte die Hände, wie es gerade kommt. Kein Getue, bitte.

Ganz ehrlich: Ein glaubwürdiges Gebet als Anfang ist bereits 50% des Erfolgs. Wenn ich hier authentisch starte, öffne ich den Raum für eine intensive Gemeinschaft. Wenn ich dagegen einen fertigen Text ablese, lassen sich die SeniorInnen einfach nur berieseln, statt innerlich beteiligt zu sein.

Entspannt bleiben, wenn es anders läuft, als geplant
Als alter Hase im freikirchlichen Bereich weiß ich natürlich, wie der ideale Erntedank-Gottesdienst abläuft (Scherz!):
Alle überlegen vorher, wofür sie dankbar sind, und bringen ein symbolisches Beispiel für ihren Dank mit. Dann marschieren alle in einer nicht enden wollenden Kette nacheinander auf die Bühne bzw. zum Altar, um dort am Mikro zu erzählen und zu zeigen, wofür sie Gott danken. Das ist für mich Erntedank: Zu hören, wie Gott im Leben der anderen wirkt und was sich die letzten Monate zum Positiven verändert hat!
In einem klassischen evangelischen oder katholischen Gottesdienst passiert das natürlich nicht, und wenn überhaupt, dann nur inszeniert und zensiert und vorher abgesprochen.
Tja, ich bin keine offizielle Pastorin, also brauche ich mich nicht an die Regeln halten und rocke einfach mein eigenes Ding. Entsprechend informierte ich die SeniorInnen über Aushänge, dass sie sich vorher Gedanken machen sollen und gern ein Symbol mitbringen können.
Nun ja.
Erstens sind die SeniorInnen hochbetagt, sie machen nicht jeden Quatsch mit.
Zweitens sind sie HamburgerInnen, die überlegen es sich doppelt, bevor sie den Mund aufmachen und etwas Persönliches erzählen.
Drittens sind sie aus keiner Freikirche, also erwarten sie, dass ich vorne stehe und predige, nicht dass sie mit ihren Erlebnissen für die Aussage von Erntedank zuständig sind.

Es kam, wie es kommen musste:
Die Dankbarkeits-Runde erwies sich in Andacht 1 wie Andacht 2 als eher schleppend. Aber es gab Fotos von verstorbenen Ehemännern, Kuscheltiere, Engel, mitgebrachte Brötchen und Gläser mit sauren Gurken. Auch, wenn kaum jemand den eigenen Gegenstand vorn auf dem improvisierten Erntedank-Tisch sehen wollte und ich manche Geschichte erst im Nachhinein hörte, als die anderen gegangen waren. Dennoch konnten sie sich mit den Geschichten der Mutigen, die sich zu Wort meldeten, identifizieren.
Und für’s nächste Mal wissen sie hoffentlich, dass es nicht wehtut, wenn Marie „zu seltsamen Einfällen“ auffordert.

Das Singen von alten Chorälen macht den Senioren wirklich sooooooo viel Freude
Seit ich in einer mega hippen Großstadt-Gemeinde zu Hause bin und nach über zwölf Jahren nicht mehr zu einer hanseatischen Traditionskirche gehöre, singe sogar ich gerne mal einen alten Choral. Früher fand ich die Uralt-Kirchenlieder oft abturnend, heute kann ich sie zwischen all dem lauten Schlagzeug wieder schätzen.
Die SeniorInnen, die seit März keine Andacht mehr hatten, genießen es unwahrscheinlich, wenigstens im kleinsten Kreis zusammen singen zu können. Klar singen die Leute im Fernsehen im Gottesdienst auch. Aber es ist einfach etwas anderes, zusammen zu singen. Egal, ob ich einzelne schiefe Stimmen sehr klar heraus höre: A capella (also ohne Begleitung durch ein Instrument) einfach unsere Stimmen zu einem Gesang verschmelzen zu lassen, hat eine ganz besondere Kraft.

Natürlich freuen sich alle, wenn sie das Lied kennen, wobei ich dafür einen Trick anwende:
Ich blättere durch das evangelische Gesangbuch und wähle Lieder aus, die ich einerseits kenne und die andererseits thematisch gut passen. Dann suche ich mir ein Opfer unter den Seniorinnen aus und rufe an: „Frau Malligsen, haben Sie mal fünf Minuten Zeit für mich? Ich suche die Lieder für die Andacht zusammen und will nur wissen, ob sie auch bekannt sind.“ Dann singe ich der Dame einfach formlos einen Liedanfang nach dem anderen vor, und sie braucht nur „Kenn ich“ oder „Kenn ich nicht“ sagen. Schon habe ich meine Liedauswahl abgesichert und sie fühlt sich hilfreich – zwei Leute in fünf Minuten am Telefon glücklich gemacht. Was will ich mehr?

Abendmahl feiern ist viel wichtiger als gedacht
Für mich war das Abendmahl, das wir in meiner Gemeinde „nur“ ein Mal im Monat feiern, lange Zeit nicht besonders bedeutungsvoll. Eher langweilig und nichtssagend. Es hat viele Jahre gebraucht, bis ich es genießen konnte.
Im Gottesdienst neulich in der Residenz habe ich bereits erlebt, wie unfassbar wichtig es den SeniorInnen ist, miteinander Abendmahl zu feiern. Selbst, wenn sie alle auf Abstand an einzelnen Tischen sitzen. Selbst, wenn das Abendmahl (bestehend aus Kürbisbrötchen und Traubensaft) bereits relativ formlos vorbereitet am Platz wartet, statt gemeinschaftlich verteilt zu werden. Egal. Abendmahl ist Abendmahl, das hat für alle eine große Bedeutung.
Auch, dass ich die klassischen „Einsetzungsworte“ vorlese, hat einen hohen Wert. Manche sprechen sie leise mit, und für alle ist eindeutig wichtig, dass das Abendmahl auf eine würdige und klassische Weise abläuft. Bereits vergangenen Monat rollten dabei Tränen.

Heute dachte ich spontan, dass es doch eigentlich schön wäre, vor dem Abendmahl eine Gebetsgemeinschaft zu haben: Darin können sich alle mit eigenen Anliegen beteiligen.
Ich regte an, dass wir sowohl für uns und die Welt bitten können, als auch innerlich im Schweigen den Teil der „Buße“ vor dem Abendmahl vollziehen können. Liturgische Buße in einem katholischen Gottesdienst bringt mich kurz davor, mich im wahrsten Sinne des Wortes übergeben zu müssen. Insofern bin ich heilfroh, in einer Freikirche nicht derart vergewaltigt zu werden, indem ich die Worte irgendeines Priesters zum Thema „Buße“ mitsprechen soll. Aber plötzlich hatte ich den Eindruck, dass es gut wäre, die Anwesenden anzuregen, einfach still mit Gott Frieden zu machen.
Dazu ging ich natürlich mit gutem Beispiel voran und betete spontan erst um Weisheit für PolitikerInnen in der aktuellen Situation usw. usf. und schwenkte dann um auf „Und du weißt auch, Gott, wo mir manchmal die Weisheit fehlt. Wo ich mich blöd verhalte und andere verletzte. Wo ich anderen etwas schuldig bleibe…“
Daraufhin schloss eine Dame tränenüberströmt ihr eigenes Gebet an. Und eine weitere Dame fand sich ebenfalls in dem „Buß-Gedanken“ sehr wohl und betete laut.

Tja.
Hätte ich nie geahnt, dass Menschen erstens freiwillig und zweitens laut vor allen anderen sagen, dass ihr Verhalten im Alltag nicht hundertpro super ist.
Und dass sie es genießen, dass dafür Raum ist.
Ich fühle mich bei Bußgebeten irgendwelcher Priester immer vergewaltigt – wie gut, dass ich in diesem Moment auf Gott hörte und der Gruppe das gab, was sie brauchte. Und wenn das nun ausgerechnet völlig unsexy Buße ist – bitteschön.
Alle bekommen, was sie brauchen.

Die Gemeinschaft im Gottesdienst lässt alle erkennen, dass sie Kinder Gottes sind. Zusammen.
Den Senioren war es dieses Mal noch wichtiger als letzten Monat, mir mitzuteilen, wie sehr sie meine Gestaltung der Andacht genießen. Da ich komplett unzensiert und spontan laut bete, erleben mich die BewohnerInnen aus einem ganz anderen Blickwinkel als sonst. Noch persönlicher, noch verletzlicher, noch ehrlicher. Das führt unter einander zu einer großen Offenheit und einem Gemeinschaftsgefühl, das ohne meinen Mut zu Authentizität nicht möglich wäre.
Natürlich entfaltet es auch eine Wirkung, wenn ich sage „Wir alle sind Gottes geliebte Kinder, seine Königskinder. Auch, wenn uns das im Alltag nicht bewusst ist. Und wir uns mit unserem Glauben manchmal verloren und ratlos fühlen: Niemand kann es uns nehmen, Königskinder zu sein und zu einander und zu Gott zu gehören.“


Jedenfalls wurde ich sooooo sehr für meine Offenheit beschenkt, wie noch nie zuvor:
Die SeniorInnen dankten mir sehr ausführlich für meinen Mut, meine Ehrlichkeit, mein Feingefühl. Mehrfach wurde betont, wie „würdig“ ich den Gottesdienst gestaltet hätte – wahrscheinlich, weil ich sonst als leibhaftige Gute-Laune-Frau durch die Gänge sause und mich wirklich absolut niemand für würdevoll hält.
Am Ende teilte ich allen noch einen handgeschriebenen (und vervielfältigten) Brief von Gott an jede Einzelne aus. Tags darauf kam eine Dame auf mich zu und sagte, wie erstaunt sie gewesen sei, als der angekündigte Brief wirklich handschriftlich war. Und wie sehr sie die Botschaft berührt hätte.
Sogar eine Kollegin, die nichts mit dem Glauben zu tun hat, meinte, dass „den Senioren derzeit eigentlich zwei Mal Andacht pro Monat gut täte“.

Wie eine Freundin die Tage so schön sagte: „Gott lässt sich nichts schenken. Er zahlt es uns hundertfach zurück.“
Amen dazu.

aufmerksam, glaubhaft, kreativ

Gottesdienst am Arbeitsplatz feiern: Eine lohnende Herausforderung

In meiner Arbeitsplatzbeschreibung steht definitiv nicht, dass ich mit den SeniorInnen der Residenz Gottesdienst feiere. Erstens ist es nicht mein Job, zweitens bin ich keine Pastorin, und drittens sind wir kein christliches Haus. Da durch Corona seit einem halben Jahr die Pastorin nicht mehr zu Besuch kommt, um Gottesdienste anzubieten, entschloss ich: Das geht so nicht weiter. Zu besonderen Anlässen habe ich schon Andachten gestaltet, die den SeniorInnen gut gefielen, also setzte ich einfach einen Termin fest und hoffte, dass mir zum Inhalt noch rechtzeitig etwas einfallen würde.
Für alle, die gern in einem offenen Rahmen am Arbeitsplatz Gott anbeten wollen, aber selbst nicht wissen, wie – hier teile ich meine Fragen und Lösungen.

Ein Thema finden:
Jenseits der klassischen Feste im Kirchenjahr ein Thema zu finden, kann anstrengend werden: Das Motto soll nicht völlig nebulös und langweilig sein, aber auch nicht so speziell, dass es Einzelne abschreckt. Überhaupt: Einen roten Faden entwickeln, der einerseits neugierig macht und den wir andererseits sinnvoll inhaltlich füllen können, ist manchmal eine echte Herausforderung. Da ich lange grübelte, wie ich die Anwesenden aus unterschiedlichen religiösen Hintergründen gleichermaßen angemessen ansprechen kann und die Vorbereitungszeit immer knapper wurde, entschloss ich mich schließlich zur Kapitulation.
Ich betete: „Jesus, du weißt, dass ich einfach einen Termin für einen Gottesdienst festgesetzt habe. Du weißt, dass den SeniorInnen die Andachten fehlen. Du weißt auch, dass ich gerade überhaupt keinen Plan zum Inhalt habe, aber den Damen und Herren eine intensive Zeit in deiner Gegenwart schenken möchte. Nur: Das ist dein Job, nicht meiner. Erstens fällt mir echt kein schwungvolles Thema ein, das ganz unterschiedliche Menschen anspricht, und zweitens kann ich nichts dafür tun, dass diese Stunde eine kraftvolle Erfahrung für alle wird. Ich brauche dich jetzt wirklich dringend. Bitte schenke du mir eine Inspiration und die passenden Ideen, sie praktisch umzusetzen. Du weißt sowieso viel besser, was die BesucherInnen brauchen, als ich es in der Vorbereitung erahnen kann. Bitte schenke mir genau das, was jetzt an Ermutigung und Input dran ist.“
Tja, und schon hatte ich mein Motto: „Durchhalten“ nannte Gott mir als wichtigste Parole in der andauernden Corona-Zeit. Und die passenden Texte, Lieder, spirituellen Übungen und Fragen zum Austausch kamen dann fast von allein.

Mut zur Lücke:
Zum Thema „Durchhalten“ packte ich einen kleinen Pappkoffer mit lauter Dingen und Anregungen, um die nächste Etappe mit Corona zu überstehen. Nachdem ich mir als Auftakt diverse Vorschläge hatte nennen lassen, was die SeniorInnen meinten, was in den Koffer gehörte, zog ich einen Gegenstand nach dem anderen heraus und baute so meinen Gottesdienst auf. Vorher war ich unzufrieden gewesen, weil ich dank des Koffers zwar eine Verbindung zwischen den einzelnen Elementen hatte, aber so richtig rund wirkte der Gottesdienst nicht.
Durch diverse andere Aufgaben musste ich am entscheidenden Tag von jetzt auf gleich in die Andacht starten, ohne mich vorher einmal innerlich sammeln zu können. Ich war darauf angewiesen, dass mir in der Moderation die passenden Übergänge einfielen, damit während des Geschehens dann hoffentlich ein rundes Ganzes aus den einzelnen Puzzleteilen würde.
Und es wurde! Wenn wir unsere Komfortzone verlassen, wenn wir Gott in unserem Arbeitsalltag Raum geben, wenn wir als ChristInnen sichtbar werden, wenn wir dabei ziemlich Schiss haben: Gott kennt uns durch und durch und wird uns in dieser Herausforderung segnen. Er liebt es, wenn wir Schritte des Vertrauens auf ihn zu wagen, auch wenn wir Angst haben, unterwegs abzustürzen. Er wird uns niemals ins Leere fallen lassen, denn schließlich tun wir nichts anderes, als unseren Glauben sichtbar zu leben und andere dazu einzuladen. Genau das wünscht sich Jesus von uns, selbstverständlich stärkt er uns den Rücken dabei!
Insofern: Mut zur Lücke und auf Gott vertrauen, er gibt uns im richtigen Moment genau die passenden Worte. Das habe ich in den letzten Wochen überwältigend oft erlebt, sobald ich außerhalb meiner Routine unterwegs war. So auch in diesem Gottesdienst.

Authentisch sein:
Vor lauter Stress an diesem Tag hatte ich vor Beginn der Andacht keine Zeit, Gott um seinen Segen und Gelingen für den Gottesdienst zu bitten. Ich rauschte direkt in den Raum, baute schnellstmöglich auf, maß allen die Temperatur, sorgte für sonstige Corona-Maßnahmen und begann übergangslos das Programm. Erst, als wir das erste Lied sangen, fiel mir auf, dass ich durch meine Hetze sogar ein einleitendes Gebet mit den SeniorInnen vergessen hatte. Und da ich kein Gebet vorbereitet hatte, musste ich genauso beten, wie ich persönlich allein oder mit Glaubens-FreundInnen bete:
Echt, ehrlich, aus dem Moment heraus und extrem persönlich.
Keine schnulzigen Sätze in künstlicher und altmodischer Kirchensprache, sondern einfach so, wie ich mit Jesus sowieso jeden Tag mehrfach im Gespräch bin. Mit FreundInnen und Menschen aus der Gemeinde laut zu beten, wie mir gerade der Schnabel gewachsen ist, finde ich völlig normal. Als Gruppenleitung mit lauter alten Menschen einfach so mit Jesus drauf los zu sabbeln, ist aber etwas völlig anderes. Es ist viel intimer, als fünf vorbereitete Sätze in Kirchensprache abzulesen.
Tja, mir blieb nichts anderes übrig, als einfach so zu beten, wie ich immer bete. Ich hatte nichts vorbereitet, und ein (etwas nachgeholtes) Anfangsgebet wollte ich deshalb nicht ausfallen lassen.
Und das Wunder geschah: Gott gab mir genau die richtigen Worte, dass mein Gebet authentisch war, aber für alle Anwesenden verständlich und angemessen. Schließlich waren von dezent Interessierten bis ernsthaft Gläubigen ganz unterschiedliche Menschen versammelt. Während meines Gebets erfüllte der Heilige Geist spürbar den Raum und blieb bis zum Schluss, sodass eine sehr dichte Atmosphäre entstand.
Ich traute mich sogar, mit den SeniorInnen eine Gebetsgemeinschaft zu machen, was allen völlig fremd war. Coronabedingt musste ich die Zahl der Anwesenden klein halten und feierte dementsprechend gleich zweimal den selben Gottesdienst mit zwei Gruppen direkt hintereinander. Und in beiden Gruppen war die Offenheit für ganz neue Formen des Gebets und spiritueller Übungen extrem groß. Im zweiten Gottesdienst überschlugen sich die SeniorInnen in der Gebetsgemeinschaft derart, dass sie parallel beteten und sich gegenseitig ins Wort fielen, so begierig waren sie, nicht nur ein Gebet zu hören, sondern aktiv als Gruppe zusammen zu beten.
Hätte ich mich nicht zu Beginn nackig gemacht und vor allen gut sichtbar und hörbar genauso intim und ehrlich gebetet, wie ich sonst allein bete, wäre eine derartige Dynamik sicher nicht passiert.
Am Ende sagte eine Dame zu mir: „Danke für Ihren Mut, heute so zu uns zu sprechen.“ Ich schaute etwas kariert, daher insistierte sie: „Es braucht eine Menge Mut, eine Versammlung auf diese Weise zu leiten. Danke dafür.“

Dreist sein:
Einzelne SeniorInnen fragten mich vorab, wie ich denn dazu käme, einen Gottesdienst zu leiten.
Ich fragte zurück: Warum denn nicht?
Ich bin seit mehreren Jahrzehnten ununterbrochen Mitglied einer Kirchengemeinde, habe tausende von Veranstaltungen besucht, diverse Gottesdienste moderiert und Gruppen geleitet, was bitte soll mir an Kompetenz fehlen?
Eine Kollegin war völlig baff, als sie später nachfragte, wie die beiden Gottesdienste gelaufen seien, und ich erzählte, dass ich Abendmahl gefeiert hätte.
Wie, Abendmahl, darf das nicht nur die Pastorin machen?
Nö, wieso? Ich veranstalte ja keinen Hochzeitsgottesdienst und taufe auch niemanden, so eine harmlose Runde mit Abendmahl kann doch nun wirklich jedeR veranstalten. Die ersten ChristInnen damals feierten täglich zusammen Abendmahl, und es gab weder eine Pastorin noch ein Kirchengebäude noch einen Vorstand noch eine Kirchenmusikerin bzw. Worship-Band noch einen Hausmeister noch sonst irgendetwas, was eine Kirche heute unbedingt haben muss. Trotzdem haben sie ganz hervorragend Gottesdienst gefeiert, das war eben einfach eine basisdemokratische Versammlung, zu der alle etwas beigetragen haben.

Das Abendmahl mit Traubensaft und Milchbrötchen, das ich unter dem Begriff „Nahrung und Stärkung“ aus meinem „Koffer zum Durchhalten“ zog, war für viele ein besonderer Höhepunkt. Klar war es corona-bedingt anders als sonst, aber die begleitenden Worte (Einsetzungsworte) kannten alle ganz genau und ich sah ihnen an, wie wertvoll es war, mit Traubensaft und Milchbrötchen ein „ganz echtes Abendmahl“ zu feiern. Dass ich keine offizielle Pastorin bin und keine originalen Oblaten, sondern viel leckerere Brötchen verteilte, hat absolut niemanden gejuckt.

Also: Einfach mal dreist sein und darauf schei****, dass irgendwelche Sturköpfe in irgendwelchen Kirchen behaupten, nur sie allein dürften „Sakramente“ austeilen. Komplett egal.
Seit einem halben Jahr hat niemand mit den Damen und Herren gebetet, niemand hat mit ihnen einen hoffnungsvollen Choral gesungen, niemand hat sich um ihre spirituellen Bedürfnisse gekümmert. Wenn ich die Einzige bin, der das auffällt und die dagegen etwas unternimmt, dann tue ich das einfach. Und Gott hat da ganz sicher nichts dagegen.

aufmerksam, glaubhaft, Presse

Presse: Wo finde ich die Kraft, um andere zu trösten und zu leiten?

Als die erste Corona-Welle durch Deutschland rollte und besonders in den Senioren-Einrichtungen die Angst vor Ansteckung groß war, schrieb ich den Artikel „Kraft tanken, um im Alltag Kraft zu geben“. Jetzt ist der Text in der Fachzeitschrift „Aktivieren“ erschienen. Darin lud ich PflegerInnen und BetreuerInnen ein, sich mit essenziellen Lebensfragen auseinander zu setzen: Um angesichts der Bedrohung den Blick auf das Wesentliche zu lenken und gleichzeitig souverän mit den Befürchtungen der Senioren und Angehörigen umzugehen. Ich regte zu einer Suche nach Quellen der Hoffnung und Kraft an und bot Ideen zur Umsetzung. Zusätzlich stellte ich Fragen, um den Alltag auf Krisenfestigkeit abzuklopfen:

Welche Rollen habe ich?
Ehefrau, Freundin, Angestellte, Tochter, Schwester, Ehrenamtliche…
Welche Erwartungen werden an mich in den unterschiedlichen Rollen gestellt?
Wie viel Energie kosten sie mich? Bin ich zufrieden damit oder möchte ich manche Rollen aufgeben und dafür andere annehmen?

Wo tanke ich auf?
Und wo verliere ich die meiste Energie?
Wie sieht zwischen Ausbluten und Auftanken die Balance aus? Und was kann ich daran ändern?

Passen meine täglichen Aufgaben und meine Talente zusammen?
Wo möchte sich Potential entfalten, das bisher keinen Raum hat?
Welche Sehnsucht kann ich mir im Urlaub in Ruhe anschauen und überlegen, was ich damit machen will?

Welche Konflikte tauchen immer wieder auf?
Und welche schwelen unbenannt seit langer Zeit und rauben Energie?
Was ist mein Anteil daran?

Was ist mein Lebenstraum und wozu bin ich auf der Welt?
Lebe ich nur meinen Alltag oder gibt es etwas, das darüber hinaus weist und mir Sinn und Hoffnung gibt?

aufmerksam, Presse

Presse: Quiz zum Dialekte-Raten

Mit den SeniorInnen in der Residenz spielte ich letztes Jahr ein Dialekte-Quiz. Dazu suchte ich mir diverse Äußerungen, Kosenamen und Schimpfworte aus ganz Deutschland zusammen und ließ die Damen und Herren sowohl die Bedeutung als auch die Herkunft erraten.
Da alle so einen Spaß hatten, fertigte ich aus den plattdeutschen Begriffen eine Wolke von Sprechblasen an und hängte sie in der Lobby an die goldene Wand:
Zum Rätseln für alle SeniorInnen, die nicht dabei gewesen waren. Und als Small-Talk-Thema für BesucherInnen, um den Gesprächseinstieg mit Oma und Opa zu erleichtern.

Leider fand die damalige Leitung des Hauses diese Installation völlig indiskutabel und entfernte sie umgehend. Da hatte ich bereits einen Fachartikel über den Spaß mit Dialekten geschrieben und musste für die passenden Pressefotos leider, leider das Schandbild noch einmal aufhängen….
Durch Corona verschob sich die Veröffentlichung, jetzt erschien mein Artikel „Deutschlandtour mit Eumel und Dösbaddel“ in der Zeitschrift „Aktivieren“.
Ein erster Einblick in das Dialekte-Quiz ist online hier zu lesen.

aufmerksam, glaubhaft

Berufung leben trotz Fragen und Zweifeln

Am liebsten würde ich behaupten, mein Leben sähe derzeit so aus wie die Pfingstrosen in voller Blüte: Farbgewaltig, prall, gesund und kraftstrotzend. Tatsächlich habe ich gerade eher Ähnlichkeit mit den halbverblühten Exemplaren: Meine Pläne stagnieren, längst abgeschlossene Projekte hängen in der Luft und mein Körper will nicht so, wie ich das will.

Eine Freundin fragte mich, wie mein aktueller Stand zum Thema „Berufung“ aussieht:
Für ChristInnen ist das die Verschmelzung von Persönlichkeit, Talenten und Lebenszielen. Das, wofür wir unsere Energie einsetzen und einer der Gründe, warum wir auf der Welt sind. Was Berufung angeht, war ich schon als Teeny mit vollem Ernst ganz vorne dabei. Bis ich in den letzten Jahrzehnten feststellte, dass Gottes Zeitplan oft ein ganz anderer ist als meiner. Und dass er mir tonnenweise Sehnsucht schenkt, endlich meine Berufung zu leben, und gleichzeitig Geduld und Vertrauen fordert, bis es eines Tages soweit ist.
Meine Freundin gab mir einige schlaue Gedanken mit, die heute von einer anderen Person im Gottesdienst-Livestream meiner Gemeinde aufgegriffen wurden. Und da sicherlich auch andere Menschen nur darauf brennen, ihre Begabungen endlich am passenden Ort einzusetzen, möchte ich sie hier teilen.

  • Zuallererst ist unsere Berufung als ChristInnen, täglich unsere Beziehung zu Gott zu pflegen: Zu beten, zu schweigen, zu singen, zu lesen, zu tanzen, zu meditieren – was auch immer unser persönlicher Kanal zu Jesus ist. Er ist der Mittelpunkt unseres Lebens, er gibt uns Freude und Kraft zu leben, er ist unser Anfang und unser Ziel. Alles andere kommt erst danach.
  • Berufung hat auch eine zeitliche Dimension: In verschiedenen Lebensphasen kann sie im Vordergrund stehen oder in den Hintergrund rücken, kann offen gelebt oder eher innerlich genährt werden.
  • Die Anforderungen der freien Wirtschaft sind keine gesunden Maßeinheiten für unsere Berufung: Wir sollten nicht erwarten, dass unsere Berufung möglichst effektiv gelebt wird und dem Leistungsdenken entspricht. Gott plant unser Versagen, unsere Umwege und Verzögerungen, unsere Krankheitsphasen mit ein. Wir sind diejenigen, die überrascht und frustriert sind, wenn es nicht zügig vorangeht. Dann schämen wir uns, zweifeln und lassen uns schwächen. Für Gott dagegen ist es ganz normal, dass Berufung kein börsennotiertes Aktiengeschäft ist, das Tag und Nacht reibungslos läuft.
  • Berufung heißt nicht, dass alles leicht gehen wird. Und dass es locker gelingen muss. Berufung ist genauso von Suche, Anstrengung und Aushalten-müssen geprägt wie jeder andere Bereich unseres Lebens.
  • Große Erfolge sind viel weniger wichtig als jeder einzelne Mensch, dem wir begegnen und dem wir mit unserer Berufung dienen. Es zählt nicht die Masse an Erfolgen, sondern jeder zwischenmenschliche Moment. Auch dann, wenn unsere Berufung gerade nicht so ganzheitlich gelebt werden kann, wie wir es uns wünschen.
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Presse: Der „Bücher-Club“ schenkt Lesevergnügen

Regelmäßig schreibe ich für das Fachmagazin „Aktivieren“, einen Monat nach Veröffentlichung darf ich darauf hinweisen. In der aktuellen Ausgabe präsentierte ich mein Konzept des „Bücher-Clubs“ und gab Hinweise zu Kulturveranstaltungen rund ums Lesen.
Im „Bücher-Club“ stelle ich moderne Literatur sowie Wiederentdeckungen vor. Wichtig ist mir dabei eine abwechslungsreiche Bandbreite der Themen von Humor über Liebe bis Spannung. Zu Beginn umreiße ich kurz die Handlung des Buchs und lese anschließend ausgewählte Abschnitte vor. Beliebt sind Romane über das englische Landleben mit diversen Intrigen und Verwirrungen, aber auch Generationen übergreifende Geschichten und natürlich Inhalte mit regionalem Bezug. Aber auch das Leben von „verrückten Alten“ sorgt für Heiterkeit.
Die SeniorInnen bekommen alle einen „Menü-Plan“, auf dem die Buchtitel, Verfasser und eine kurze Inhaltsangabe abgedruckt sind. So können sie die Bücher anschließend in den öffentlichen Bücherhallen ausleihen, für den eigenen Bedarf kaufen oder meine Lesetipps als Geschenkidee nutzen. Ich bemühe mich, trotz engem Budget die Romane kostengünstig anzuschaffen und frei zugänglich in der hauseigenen Bibliothek anzubieten.

 

aufmerksam, glaubhaft

Was gibt meinem Leben Halt und Sinn? Und was ist mein Lebenstraum?

Die weltweite Corona-Epidemie schüttelt unser Selbstverständnis kräftig durch.
Dass wir als Westeuropäer auf der Sonnenseite des Globus leben und die Sicherheit unserer Lebensumstände für selbstverständlich nehmen, gerät gerade ins Wanken.
Unsere große Chance ist jetzt, diese Verunsicherung zuzulassen und uns aktiv damit zu beschäftigen, statt uns mit Fernsehen und Glücksspiel im Internet abzulenken.

Wenn ich Mitmenschen nach ihrem Lebenstraum frage, ernte ich oft  irritierte bis leere Blicke.
Mir wurde bereits mehrfach nahegelegt, wenn mein Leben mich nicht ausfülle, solle ich gefälligst Kinder gebären, dann hätte ich garantiert nie mehr Zeit für derartige Luxusgedanken.
Dabei finde ich es existenziell notwendig, jeden Tag in dem Bewusstsein zu leben, wozu ich auf der Welt bin und was meiner Existenz ihren Sinn gibt.
Die Frage nach dem eigenen Auftrag in dieser Gesellschaft ist kein überflüssiges Pillepalle, sondern für unsere psychische Gesundheit und unsere Zufriedenheit lebensnotwendig.

Das Corona-Virus zeigt uns derzeit ganz existenziell, wie verwundbar wir Menschen sind und wie vergänglich das Leben sein kann.
Was sind meine Lebensträume? Egal, wie lange sie zurückliegen mögen und ob ich heute abgeklärt auf die Träume meiner Jugend schaue, sie verraten mir viel über die grundlegenden Bedürfnisse und Wünsche meiner Persönlichkeit.
Was möchte ich erreichen, solange ich auf dieser Welt unterwegs bin?
Woran sollen sich meine Mitmenschen erinnern?
Was ist das Ziel, der Sinn meines Lebens?
Was brauche ich, um diese Fragen zu klären?
Gebe ich meinem längst verlorenen Glauben eine zweite Chance? Gibt es Menschen, die eine andere Perspektive auf das Leben haben und von denen ich lernen kann?

Für mich persönlich ist ganz klar, dass Gott mich geschaffen hat. Ich habe die volle Freiheit, was ich mit meinem Leben anstelle, dennoch kann ich mich darauf verlassen, dass Gott einen guten Plan für mich hat. Auf den kann ich schei*en, ich kann mich aber auch fragen, welcher Auftrag sich aus der Kombination meiner Persönlichkeit und meiner Talente ergibt. Bei welchen Tätigkeiten mein Herz aufgeht, welche Menschen mich besonders berühren, was mein Lebensgefühl bestimmt.
Wann fühle ich mich am richtigen Ort, wo gerate ich in Flow?
Welche meiner größten Stärken passt zu den tiefsten Nöten dieser Welt?

Ich träume von einem offenen Haus, das jedeN willkommen heißt.
Einem gemütlichen Café, in dem die syrische Mutter neben dem Arbeitslosen sitzt und mit der einsamen alten Dame ins Gespräch kommt.
Im Raum nebenan treffen sich alte Herren mit afrikanischen Flüchtlingen und Jugendlichen ohne Schulabschluss, um gemeinsam Radios und Bügeleisen zu reparieren.
Die Familien-Beratungsstelle hat ihr Treffen heute in den Garten verlegt, dort werkeln Alleinerziehende und kinderreiche Familien zusammen an den Hochbeeten.
Der Schuppen im Garten wird zum Probenraum für MusikerInnen umgebaut, und im Keller richten sich Mädchen ihren Treffpunkt als geschützte Höhle ein.
Das Atelier unter dem Dach wird heute von Menschen mit Demenz zum Töpfern benutzt und der Deutschkurs sammelt in der Nachbarschaft Holunderblüten, um Pfannkuchen zu backen.
Ich bin mittendrin, gestalte Kurse und Veranstaltungen, sorge für die Öffentlichkeitsarbeit, pflege Beziehungen und lade  zum Austausch ein.

aufmerksam, kreativ

Corona: Ideen gegen den Lagerkoller in Senioren-Einrichtungen

An meinem Arbeitsplatz gestalten wir ein buntes Programm für über 300 fitte und anspruchsvolle SeniorInnen. Die Veranstaltungen wurden angesichts des Corona-Virus natürlich längst abgesagt, sowohl die öffentlichen Kultur-Termine als auch die internen Gruppen.  Auch die Mahlzeiten im Restaurant finden mit neuen Regeln und ohne externe BesucherInnen statt.
Die Damen und Herren erwarten ein hochwertiges Programm aus Kultur, Bildung und Sport. Nun haben sie plötzlich gar keine Unterhaltung mehr und dürfen sich noch nicht einmal mit ihren Cliquen intern treffen. Das stößt auf Widerstand, daher habe ich mir ein Angebot ausgedacht:
Die übliche Haus-Zeitschrift kann nicht erscheinen, da das Programm sowieso ausfällt. Stattdessen bringen wir das Heft als „Anti-Lagerkoller-Maßnahme“ mit Rätseln, Geschichten und Tipps heraus. So habe ich mir gestern erste Ideen notiert, was die SeniorInnen trotz eingeschränkter Freiheit tun können. Zumindest, bis wir auch hier eine endgültige Ausgangssperre haben…

Ideen gegen den Lagerkoller
Liebe BewohnerInnen, damit Sie sich trotz viel freier Zeit und wenig Spielraum sinnvoll beschäftigen können, habe ich mir Ideen für Sie ausgedacht. Sie kennen meinen Humor – bitte nehmen Sie es nicht bierernst! Ich möchte Sie damit aufheitern, liebe Grüße, Marie Krüerke

* Lange aufgeschobene Anrufe tätigen: Je länger wir uns bei alten Freunden nicht melden, desto größer die Hürde, zum Hörer zu greifen. Dabei ist aktuell die Wahrscheinlichkeit, dass alle zu Hause und gut erreichbar sind, besonders groß! Wagen Sie es und rufen Sie bei lang verschollenen Bekannten an.

* Briefe schreiben: Vielleicht haben Sie auch eine Sammlung von Grußkarten zu Hause, die über die Zeit gewachsen ist. Suchen Sie sich ein paar schöne Exemplare heraus und schreiben Sie einen netten Gruß!

* Fotoalben pflegen: Besitzen Sie Fotoalben, die begonnen und nicht beendet wurden? Vielleicht haben Sie Lust, einen Stapel Fotos einzukleben und zu beschriften. Wenn Ihnen noch ein paar bunte Aufkleber in die Hände fallen, macht die Gestaltung zusätzlich Spaß.

* Sockenschublade sortieren: Ja, vielleicht lachen Sie jetzt, aber wann haben Sie jemals so viel Zeit für den Frühjahrsputz wie jetzt?! Löchrige Socken sind menschlich, aber lästig – nutzen Sie die freie Zeit zum Stopfen oder Aussortieren. Auch die Zeitungen, die Sie immer noch mal lesen wollten und nie dazu kamen, warten auf eine Lektüre oder auf das Altpapier. Ausmisten befreit und macht gute Laune!

* Sie können Samentütchen kaufen und Sommerblumen, Pflücksalat oder Kräuter im Appartement vorziehen. Dazu reicht eine Schale mit Erde auf der Fensterbank, oder Sie stellen die Balkonkästen dicht an die Hausmauer, wo sie geschützt sind. So können Sie die ersten Triebe beim Wachsen beobachten und das frische Leben genießen. Auch Weizenkörner oder andere ganze Körner, die sonst zum Backen benutzt werden, können auf feuchtes Küchenpapier ausgelegt werden und keimen. Sie sind voller Vitamine, perfekt für eine Scheibe Brot mit Quark!

* Osterzweige: Pflücken Sie draußen Zweige und beginnen Sie mit einer österlichen Dekoration. Holen Sie die Ostereier aus dem Schrank oder vom Dachboden und knoten Sie bunte Schleifen oder Wolle in die Zweige. So gestalten Sie einen schönen Blickfang, der für Ablenkung sorgt. Vielleicht hat Ihre Nachbarin Ideen für eine einfach österliche Bastelei? Fragen Sie per Telefon einmal nach und tauschen Sie sich über Osterbräuche aus.

Frühlings-Rätsel: Buchstaben sortieren
Bitte sortieren Sie die Buchstaben so, dass sich Worte ergeben, die mit dem Frühling zu tun haben.

lutep              kenük          fefzehop

mepirl                   nevosgetl

syroftehi                   malm         derlife

glotosereck                                   zyhaniteh

reostie                         rlapseg

Lösung: Tulpe, Küken, Hefezopf, Primel, Vogelnest, Forsythie, Lamm, Flieder, Osterglocke, Hyazinthe, Osterei, Spargel

Lieder-Rätsel
In welchen Lieder kommen die folgenden Zeilen vor:

„Hei, unter grünen Linden, da leuchten weiße Kleid! Heija, nun hat uns Kindern ein End all Wintersleid.“

„Wie möcht ich doch so gerne ein Veilchen wieder sehn, ach, lieber Mai, wie gerne einmal spazieren gehen!“

„Jetzt geh ich über Berg und Tal, da hört man schon die Nachtigall auf grüner Heid und überall.“

„Frisch auf drum, frisch auf drum im hellen Sonnenstrahl, wohl über die Berge, wohl durch das tiefe Tal!“

„Die kalten Wind verstummen, der Himmel ist gar blau, die lieben Binelein summen daher von grüner Au.“

Lösungen Lieder-Rätsel:
1.) Nun will der Lenz uns grüßen
2.) Komm, lieber Mai, und mache
3.) Jetzt fängt das schöne Frühjahr an
4.) Der Mai ist gekommen
5.) Grüß Gott, du schöner Maien

Ich werde zügig mit der Osterdekoration beginnen, damit es wenigstens im Haus schön aussieht und die SeniorInnen weiterhin spüren, dass wir uns um ihr Wohl kümmern. Solange die Sicherheitsmaßnahmen eingehalten werden, ist jede Form der Ablenkung willkommen. Das gemeinsame Oster-Basteln und Schmücken entfällt natürlich, aber zumindest sollen die Damen und Herren in schön gestalteten Räumen unterwegs sein, bevor sich die Lage verschärft und alle im Appartement bleiben müssen.

aufmerksam, glaubhaft

Bereit zum Abflug! Wohnzimmer-Deko mit Ansage

Meine wichtigste Aufgabe im Berufsalltag ist, dass die Menschen sich gut unterhalten und umfassend informiert fühlen.
Daraus ergibt sich ein „Zwang zum Lächeln und Scherzen“, der einerseits sehr anstrengend ist, andererseits aber auch auf das Wesentliche fokussiert. In den Gruppen sollen sich alle wohlfühlen, auf dem Flur einen netten Gruß hören und bei Fragen Unterstützung erleben.
Entsprechend finde ich im Kollegium schlechte Laune, unnötige Dramen oder Lästern hinter den Kulissen komplett kontraproduktiv:
Es braucht viel Energie, schwächt alle im Umkreis, senkt die Motivation, lenkt ab und verunsichert.
Umso mehr in einem Umfeld, indem die wichtigste Aufgabe ist, den Menschen zu dienen und gemeinsam gute Momente zu gestalten.

Entsprechend war ich total begeistert, als ich online das Poster entdeckte, das jetzt second-hand unser Wohnzimmer schmückt. „See you later assholes!“ ist kein passender Slogan für den Arbeitsplatz, schließlich gibt es auch genügend nette Kolleginnen. Aber es hilft, innerlich Abstand zu nehmen und sich selbst daran zu erinnern, dass Menschen mit unangenehmen Verhalten sich das Leben selbst schwer machen.
In den Birkenästen sitzen dazu passend lauter schräge Vögel, irgendjemand in Bayern hat die Eulen aus Wolle gehäkelt und wollte sie dringend loswerden. Gerne, zusammen mit Vögeln aus Blech, Wimpelketten mit blauen Flamingos und dem alten Affen mischen sie die Zimmerecke auf.