In dieser Woche habe ich im Elterngespräch in der logopädischen Stunde das erste Mal einer Mutter ganz klar und direkt gesagt, dass ich von ihrem Vorgehen ihrem Kind gegenüber abrate.
Bisher habe ich Verbesserungsvorschläge in Formulierungen wie „Schön, dass sie mit ihr/ihm dieses und jenes tun, aber noch besser ist es, wenn Sie…..“ verpackt. Und dann folgte meine Erläuterung, was dem Kind angesichts seines aktuellen Entwicklungsstandes an Unterstützung gut täte.
Leider habe ich gemerkt, dass viele Mütter nicht gut zuhören und auf „pädagogisch vorsichtige“ Einwände nicht reagieren. Oder nur die Freundlichkeit in meiner Stimme hören und nicht die konstruktiven Hinweise, die ich ihnen auf der sachlichen Ebene übermitteln möchte.
So sagte ich vor Kurzem das erste Mal deutlich und direkt, ohne nette Rhetorik, dass das Kind eine andere Förderung benötigt als die, die die Mutter ihm angedeihen lässt.
In diesem Fall erklärte ich der Mutter, dass es dem Entwicklungsstand ihres Sohnes nicht entspricht, Zahlen und Buchstaben zu lernen: Er ist mit fast vier Jahren auf dem Stand eines knapp Dreijährigen und kann beispielsweise Pfanne und Topf weder benennen noch auseinander halten, obwohl wir seit der ersten Stunde immer wieder kochen spielen (mit spezifischem Input meinerseits). Ein Kind, das nur wenige Nomen kennt, das in Bezug auf Verben viel Input braucht und diese trotzdem nur im Ausnahmefall behält, das ist definitiv nicht reif für abstrakte Inhalte wie Zahlen und das Alphabet. So habe ich das erste Mal sehr deutlich das Bild der Mutter vom kognitiven Status ihres Sohnes demontiert. Selbstverständlich ließ ich sie erst gehen, nachdem wir eine Perspektive für die Zukunft entwickelt hatten.
Bisher hatte ich immer Angst, Mütter zu verletzen und zu verunsichern. Da ich gemerkt habe, dass es manchmal ohne die unverhüllte Wahrheit nicht vorwärts geht, werde ich nun öfter den Mut haben, beschönende und vorsichtige Formulierungen wegzulassen.
Unabhängig davon erschreckt es mich, wenn Mütter „objektive Leistungen“ wie zählen und schreiben wichtiger finden als Wortschatz und Satzbau, von Artikulation ganz zu schweigen.
Und es irritiert mich jedes Mal wieder neu, wenn Mütter meinen, ihr Kind fördern zu müssen und es heillos überfordern. Wenn ein Kind, dessen Mutter polnisch und dessen Vater türkisch spricht, im Kindergarten auf deutsch klarkommen muss, ist das anstrengend genug. Wenn es aufgrund des Ehrgeizes der Mutter zusätzlich in die Englisch-Stunde gesteckt wird, dann bin ich einfach sprachlos angesichts des kognitiven Pensums des Kleinen und der fehlenden Würdigung der Mutter genau dieser täglichen Leistung gegenüber.
Damit kein falsches Bild entsteht:
Selbstverständlich gibt es auch viele Mütter, die ihren Kindern ein ganz natürliches Vorbild sind und Bildung kreativ und alltagsnah statt ehrgeizig betreiben. Es freut mich immer wieder, mit Müttern zusammen zu arbeiten, die ganz selbstverständlich und entspannt als Co-Therapeutinnen und Expertin für ihr Kind auftreten. Die kompetent Informationen weitergeben, ebenso wie sie aufmerksam Fragen stellen oder sich Übungen erklären lassen.