Heute traf ich Yohannes (Name geändert), einen Flüchtling aus Eritrea. Das letzte Mal hatten wir vor einem dreiviertel Jahr Kontakt, danach hat er sich nicht mehr gemeldet. Auch im Stadtteil haben wir uns seitdem nicht getroffen, sodass ich mich manchmal fragte, was aus ihm geworden ist.
Als ich beim Einkaufen an der Kasse stand, sah ich ihn draußen vorbei laufen und winkte ihm durch die offene Ladentür. Er blieb mit seinem Begleiter stehen und wartete auf mich, sodass wir uns kurz darauf unterhalten konnten.
Er arbeitet weiterhin in einem Lager, das ihn letztes Jahr, als er einen gebrochenen Arm hatte, einfach auf die Straße setzte. Und ihn, kaum dass er verzweifelt und halb genesen wieder anheuerte, erneut arbeiten ließ. Bis heute bin ich diesen Leuten böse, auch wenn ich sie nicht kenne und nicht weiß, ob all die Überstunden tatsächlich unbezahlt geleistet werden müssen (ähnlich wie bei den Paketfahrern, die bis heute faktischen keinen Mindestlohn bekommen). Yohannes berichtete, dass Ende Juli wieder über seinen Aufenthalt in Deutschland entschieden würde, voraussichtlich für drei Jahre. Einen Ausbildungsplatz und damit eine berufliche Perspektive habe er weiterhin nicht und schaute mich ganz überrascht an, als ich bei dem Thema nachhakte. Auch sein deutsch war leider kein bißchen besser als vor einem Jahr.
Nach unserem Gespräch hatte ich den Eindruck, dass es niemanden gibt, der ihm unterstützend zur Seite steht. Es schien, als ob er sich daran klammert, dass der Job im Lager ausreicht, um zu beweisen, dass er sein Bestes gibt und weiter bleiben darf. Ohne einen langfristigen Plan, wohin seine Existenz in Deutschland steuert. Was er vom Leben erwartet, wie er sich einbringen möchte, was seine Wünsche und Ziele sind – keine Ahnung. Ich fürchte, dass er es selbst nicht weiß. Einerseits, weil in Eritrea unter der Militärdiktatur dafür kein Raum war. Und andererseits, weil die körperlich anstrengenden Schichten im Lager und die Unterbringung im Flüchtlingsheim nicht dazu einladen, Visionen zu entwickeln. Wer an diesem Punkt keine engagierten Personen trifft, die einerseits unterstützen und andererseits antreiben, scheint in einem Zwischenraum hängen zu bleiben: Nicht richtig angekommen, weder in der Gesellschaft noch in der eigenen Identität.
— aufmerksam —
Ankommen und bleiben in Deutschland – viel schwerer, als gedacht
27. Juni 2018