Erntedank ist nach dem Sommerurlaub, in dem ich zum ersten Mal in Ruhe innehalte und einen Blick auf meinen Alltag werfe, bereits der zweite Rückblick auf das aktuelle Jahr. Noch nicht so endgültig wie Silvester, aber doch eine deutliche Zäsur. Vorrangig deshalb, weil es für mich schon lange eine Tradition ist, zum Erntedank-Gottesdienst etwas mitzubringen, wofür ich dankbar bin. Ein Erntedankfest ohne Gemeindemitglieder, die nacheinander vorn am Mikro stehen und aus ihrem Leben erzählen, ist für mich kein Erntedank. Es wird für überstandene Krankheiten gedankt, für Omas, die immer noch leben, für erfolgreiche Bewerbungen, für gesunde Babies, für ein Leben nach dem Verkehrsunfall, für abgewendete Insolvenzen, für glückliche Ehen. Auf dem Altar liegen dann verbeulte Verkehrsschilder, Schnuller, Urlaubsfotos, Hochzeitserinnerungen, neue Haustürschlüssel und Röntgenbilder. Früher oder später wird immer geheult, und ein Erntedank ohne Glückstränen für das gelungene Leben anderer ist für mich kein Erntedank. Entsprechend schaue ich in den Wochen vor dem Festgottesdienst auf mein Leben und überlege, wofür ich besonders glücklich bin. Und was ich als Symbol dafür mitbringe. Manchmal musste ich Erntedank während Krisenzeiten feiern, da liefen nicht nur Glückstränen. Aber auch, denn das Glück anderer gibt auch denen Hoffnung, die gerade nicht fröhlich am Mikro stehen und der ganzen Gemeinde ihr Leben zeigen möchten.
— aufmerksam, glaubhaft —
Dankbar, überrascht, enttäuscht, erleichtert und dankbar.
30. September 2017