Als Logopädin habe ich früher regelmäßig die besten Kindersprüche gesammelt und hier veröffentlicht (wen es interessiert: Unter dem Suchbegriff „Kindermund“ müssten sie alle zu finden sein). SeniorInnen sind im Alltag nicht ganz so lustig wie Kinder und wenn, dann verbietet es der Respekt, darüber zu lachen. Finde ich. Aber manchmal, manchmal muss ich die dollsten Sprüche doch notieren…
Kursangebot „Atemfreude“ im Gymnastiksaal.
Zum ersten Mal konfrontierte ich die SeniorInnen mit einem „Atemschriftzeichen“, dazu benutzten wir die liegende Acht und sprachen das Gedicht „Die Ameisen“ von Ringelnatz. Auf einem Blatt im Querformat hatte ich links oben das Gedicht abgedruckt (mindestens in Schriftgröße 14, wie immer), rechts oben mit dem Kugelschreiber schnell zwei Ameisen gezeichnet und die Mitte des Zettels füllte die große, liegende Acht. Dafür, dass die SeniorInnen sehr skeptisch Neuerungen gegenüber sind und keinerlei Toleranz für „Spökenkram“ (norddeutsch für esoterischen Mist) haben, waren sie überraschend begeistert dabei. Und ich mal wieder stolz, sie aus der Komfortzone geholt und neuen Schwung verbreitet zu haben.
Nach der Stunde räumte ich wie immer das „Bühnenbild“ in der Mitte des Stuhlkreises sowie alle Materialien ein. Da kam Herr Jensen (Name geändert) auf mich zu:
„Frau Krüerke, so sieht aber keine Ameise aus,“ und zeigte auf meine schnelle Skizze. „Am Steert (norddeutsch für Schwanz) hat sie keine Beine!“ Er schaute mich strafend bis amüsiert an: „Das weiß ein alter Gärtner wie ich!“
Eine Woche später. Das heutige Thema der „Atemfreude“ war die Reise auf eine Südsee-Insel. Wer wollte, konnte sich auch die Nordsee oder das Mittelmeer vorstellen, ganz nach eigenen Vorlieben. Wie immer hatten wir eine Menge Spaß und die philosophische Frage am Ende, die ich immer auf Karten austeile, fand großen Anklang: „Nachdem wir auf der Insel nach einem Schatz gesucht haben: Wer ist Ihr Schatz? Weiß die Person, dass Sie sie wertschätzen?“
Das Bühnenbild bestand aus Palmwedeln, Papageien und einem riesigen Sonnenhut, und während ich es zusammenräumte, schlich sich wieder Herr Jensen an. „Frau Krüerke…..“ „Ja?“ „Haben Sie eigentlich gemerkt, dass ich eben beim Baden keine Badehose anhatte?“ Ich schaute kariert. Er: „Naja, das kann man unter Wasser ja nicht so erkennen, nä…?!“ und blickte mich lauernd an.
Hilfe, jetzt muss ich auch noch aufpassen, dass wir uns gedanklich während der Fantasiereise nicht entkleiden!
Gleicher Tag, inzwischen ist es Nachmittag. Ich ging mit einer Bewohnerin über den Flur. Uns kam eine ältere Dame mit einer sehr alten Dame im Rollstuhl entgegen. Ich grüßte und fragte die schiebende Dame, ob sie hier als Ehrenamtlich unterwegs sei, da ich sie noch nicht kannte. Nein, sie habe einen Mini-Job. Daraufhin stellte ich mich vor (wo wir gerade dabei waren), und sie schaute mich völlig perplex an: „SIE sind Frau Krüerke???“ Ich: „Ja, ich bin Frau Krüerke. Steht auch auf meinem Namensschild (zeige es ihr).“ Die Dame: „Wirklich? Sie sind Frau Krüerke?“ und sah mich intensiv an. So langsam war ich doch irritiert: „Ja, wieso?“ „Ach, Frau Herbst (Name geändert) schwärmt immer so von Ihnen und der Atemfreude!“
Im Nachhinein reimte ich mir zusammen, dass Frau Herbst wohl sehr regelmäßig ausführlich schwärmt und die Dame daraufhin das Bild einer sehr ausdrucksstarken, ausgesprochen weisen, überwältigend kreativen, insgesamt außergewöhnlichen Person vor Augen hatte. Und ich sah dort im Flur wohl viel jünger und viel normaler aus, als ihr inneres Bild erwartet hätte…