„Nach wie vor wird von Frauen gerade in Deutschland erwartet, sich der Mutterrolle ganz hinzugeben, ihr zumindest eine Zeit lang oberste Priorität einzuräumen und andere Ziele weit hintenan zu stellen. Mädchen und Frauen merken in unserer Gesellschaft früh, dass Kinderkriegen eine Abwägungssache ist: zwischen Autonomie einerseits und der Gefahr jahrelanger Mehrfachbelastung und Selbstaufgabe andererseits. (…)
Aber das verträgt sich natürlich nicht mit der Mär vom Mutterinstinkt, den Frauen natürlicherweise haben sollen. Und wenn sie dem nicht selbstlos nachkommen, gelten sie als selbstsüchtig, gefühlskalt und irgendwie nicht normal. Die „Natur“ scheint dabei keine Freundin der Frau zu sein, denn sie wird rhetorisch immer gegen ihr Recht auf Entscheidungsfreiheit über ihr eigenes Leben in Stellung gebracht. (…)
Vielleicht werden den freiwillig kinderlosen Frauen auch deshalb die angeblich tickenden Uhren vorgehalten: Wenn man ihnen schon keine sonstigen Anreize schaffen kann, will man ihnen nun Angst machen, dass sie aufgrund ihrer „Natur“ psychologische Schäden erleiden, wenn sie keine eigene Familie gründen wollen. Unsere Gesellschaft, so scheint es, lauert fast spöttisch auf das späte Bedauern der Kinderlosen: „Du wirst es später mal bereuen.“ Diesen Satz hören Frauen wie ich so häufig, explizit und implizit, dass es schwer ist, ihn nicht zu verinnerlichen und sich zu fragen, ob vielleicht tatsächlich etwas nicht stimmt. (…)
Männern wird zugestanden, dass sie ihrem Bedürfnis nach Selbstentfaltung in verschiedener Weise nachkommen und deshalb Kinderlosigkeit verkraften können. Die kinderlose Frau hingegen gilt als tragisch und einsam. Oder als Opfer der Emanzipation, das seine natürlichen Bedürfnisse einfach nicht mehr sehen kann.
Für kinderlose Frauen gibt es gesellschaftlich gesehen keine positiven Role-Models. Als Gegenmodell zur Mutter gibt es nur die verhärmte, gefühlskalte Karrierefrau (was natürlich lächerlich ist, schon allein wenn man bedenkt, wie wenig Frauen es immer noch in Führungspositionen gibt). Aber davon mal abgesehen: Das Bild von der spröden Frau im grauen Kostüm hinterm Schreibtisch passt weder zu mir noch zu den Frauen, die ich kenne. Für uns ist ein Leben ohne Kind so selbstverständlich, dass wir uns noch nicht einmal bewusst dagegen entschieden haben. Die Frage hat sich für mich und meine kinderlosen Freundinnen einfach nie gestellt.
Studien zeigen, dass kinderlose Paare im Durchschnitt zufriedener als Eltern sind. Sie weisen oft einen stärkeren inneren Zusammenhalt auf, da sie mehr gemeinsame außerhäusliche Aktivitäten unternehmen und der intellektuelle und emotionale Austausch größer ist. Ihre Beziehung ist oft gleichberechtigter als die von Ehepaaren, denn normalerweise ist es immer noch die Frau, die ihr Leben mehr an die neuen Herausforderungen anpassen muss. Es gibt gute Gründe, Kinder zu bekommen – es gibt allerdings auch gute Gründe dagegen.(…)
In Wahrheit lässt einem Kinderlosigkeit eher mehr Raum, sich sozial und gesellschaftspolitisch zu engagieren. Und statt sich in die Familie zurückzuziehen, schaffen viele Kinderlose heute neue Formen des solidarischen Zusammenlebens, die unsere alternde Gesellschaft dringend braucht. (…) Sie machen so auch ihre Unzufriedenheit über die herkömmlichen Familienkonzepte und Geschlechterverhältnisse nach außen deutlich, denn sie schaffen Alternativen abseits der gewohnten Kleinfamilie, die dann auch wieder das Zusammenleben mit Kindern ermöglichen – es müssen ja nicht immer zwingend die biologisch eigenen sein. (…) Denn Kinder, um die man sich im eigenen Umfeld kümmern kann, gibt es schließlich genug – und die Eltern sind oft für Unterstützung sehr dankbar.
Es gibt viele Möglichkeiten, als Frau zu leben. Je mehr Formen von Weiblichkeit sichtbar und „normal“ werden, um so mehr kann es Frauen nützen. Und zwar allen Frauen.“
Sarah Diehl
Wer den Artikel, dessen Auszüge ich hier teile, gerne weiter verfolgen will und wen die Argumentationslinien über die Renten-Diskussion, das Egoismus-Klischee, den Umwelt-Aspekt des Themas und weitere Thesen interessieren:
Die Brigitte Nr. 23 vom 22.10.2014 (aus deren Dossier die Zitate stammen) ist zwar nicht mehr im Handel zu erwerben, aber in vielen Bücherhallen und Bibliotheken vorhanden.
Aktuell ist der Artikel auch online lesbar.
Das Buch von Sarah Diehl zu diesem Thema ist hier zu finden.
„Für kinderlose Frauen gibt es gesellschaftlich gesehen keine positiven Role-Models.“
Gibt es sie denn biblisch gesehen ?
Meine Liebe,
einen interessanten Link dazu gibt es hier: http://www.die-bibel.de/bibelwissen/botschaft-der-bibel/frauen-in-der-bibel/
Spannender Weise treten in der Bibel viele Frauen auf, die durch ihre Entscheidungen etwas verändert haben:
Wir lesen von Debora, der berühmten Richterin, die sogar in den Krieg zog. Ob und wie sie kämpfte ist nicht überliefert – es gibt also verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Tatsache ist, dass sie eine wichtige Politikerin war und mutige Maßnahmen initiierte. Zu entdecken im Buch Richter, ab Kapitel 4.
Wir lesen von Esther, die in einen Harem aufgenommen wird (Klischee), vom König als Favoritin gekrönt wird (Klischee) und mit List und Gottvertrauen einen Massenmord an den Juden verhindert (Juhu! Wir befinden uns jenseits des Klischees!). Zu finden im Buch Esther, Kapitel 3-8
Wir lesen von Abigajil, die auf eigene Faust einen Plan entwickelte, allein König David entgegen ritt und damit ein Blutbad verhinderte. Zu finden im Buch 1. Samuel Kapitel 25, Verse 2-35
Wir lesen von Junia, die um ihres Glaubens Willen im Gefängnis saß und als Apostolin sehr angesehen war. Zu finden im Brief an die Römer Kapitel 16, Vers 7.
Wir lesen von vielen weiteren weiblichen Einzelschicksalen, zu denen interessante Bücher geschrieben wurden (wie der Link oben).
Männer treten in der Bibel eher in Gruppen auf: Als Fischer, Händler, Handwerker, Schäfer. Frauen sind eher einzeln anzutreffen, aber ihr Leben besteht oft aus einer radikalen Aussage: „Entwickle einen Plan! Nimm den Konflikt mutig in die Hand! Vertrau auf Gott! Reife durch schwierige Ereignisse! Setze alles, was du hast, auf eine Karte! Rette andere -“ Zum Beispiel wie die Prostituierte Rahab, die den Kundschaftern Israels zur Flucht half. Ohne „die olle Hure“ wär´s nämlich nicht gegangen.
In diesem Sinne: Gott hat für Frauen viele überraschende und unkonventionelle Wege. Und er schreibt auch auf krummen Linien grade.
Viele Grüße, Marie