„Ziemlich wichtig ist in Denmark (Australien) die earthyness. Im Prinzip kann recht vieles earthy sein: Zum Beispiel ist ein Haus umso earthier, je windschiefer, improvisiert-selbstgebastelt-hexenhafter es sich in seinen Standort einschmiegt, fast so wie diese Wohnhöhlen der Hobbits in Auenland. Auch ein anständig bemaltes Fahrrad mit Blumenkorb und gestrickten Lenkerwärmern kann durchaus als earthy durchgehen, oder eine Party, bei der es gegrillte, ledrige Äpfel anstelle von Pommes, Geige statt Techno und Zimt statt Koks gibt. Überhaupt ist Denmark das Gegenteil vom latent zugekoksten, trendigen Süd-Perth der selbsternannten australischen Oberschicht.
Earthy ist ein Tausch von Lebensmitteln: Der eine Nachbar hat jede Menge Tomaten hinterm Schuppen, der zweite endlich seinen ersten Seelachs geangelt, viel zu groß für nur eine Familie; bei jemandem ist der Traubenmost fertig geworden, und ein anderer hat gerade einen Baum fällen müssen, bestes rotes Jarrah, so hart, dass es sich beim Holzhacken anhört, als würde man die Axt in einen Block aus Glas treiben. Es gibt auch in Essig eingelegte Kürbisse im Tausch gegen Känguruschenkel. (…)
Earthy kann es sein, wenn man ab und zu Bäume umarmt, zumindest als Frau kann man das komplett unkommentiert tun. Manchmal werden in Denmark Wald-Theaterstücke aufgeführt, in denen Blätter sprechen können: „Logisch“, sagte Nina trocken, als wir das zum ersten Mal sahen.
Es gibt extra das Rote Zelt, hinten Richtung Beveridge Road, für Frauen zum „in-Frieden-bluten“, während andere Frauen für sie kräftigende Gemüsebrühe kochen. Das war mir wirklich ziemlich fremd, liegt aber vermutlich einfach daran, dass ich noch nie Menstruationsbeschwerden hatte. Ein beträchtlicher Teil der Einwohner versorgt sich bereits komplett über ein riesiges, gemeinschaftlich finanziertes Windrad in der Nähe des Ocean Beach mit Strom, dann muss man sich nicht allzu sehr mit den Stromkonzernen abgeben.
Die Lebensphilosophie in Denmark kam uns natürlich sehr entgegen, nicht zuletzt, weil wir schließlich mit Mrs. Earthy höchstpersönlich unterwegs waren. Wenn man es zum Beispiel schafft, mithilfe des sogenannten „Umkehrpfützen-Tricks“ fast den gesamten Inhalt einer Pfütze mit weniger als fünf strategisch angelegten Sprüngen ins Innere der Gummistiefel zu befördern, hat man bei den earthigen Nachbarskindern sofort einen Stein im Brett. Zudem fungierten Ninas Jackentaschen als tragbare Terrarien, so dass bald jeder im vernünftigen Alter wusste, dass sie sich um eventuell einsame Regenwürmer aus dem Berridge Park ebenso verantwortungsvoll kümmerte (linke Tasche) wie um die Kellerasseln (rechte Tasche, denn die hatte einen Reißverschluss) vom Parkplatz vor dem fabelhaften Mrs. Jones Café. Wenn es um Tiere ging, konnte man sich immer vertrauensvoll an Nina wenden. Sie wusste, wo die giftigsten Spinnen wohnten und wo die Vogelnester steckten, und sie hortete zusammen mit Simon unter dem Patio ein ganzes Arsenal von sehr earthigen Objekten, von denen wir nichts wissen sollten oder wollten.“
aus: „Eine Million Minuten. Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden“ von Wolf Küper